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des Schmerzlichen im Opfer befreit werden.
In einem in vollkommener Harmonie befind-
lichen Wesen ist Schmerz unmöglich, denn
die Form ist dann das vollkommene Vehikel
des Lebens, das mit derselben Bereitwillig-
keit empfängt, wie sich hingibt. Sobald der
Kampf auf hört, hört auch der Schmerz auf.
Da demnach das Gesetz des Opfers
das Gesetz der Evolution des Lebens im
Universum ist, so finden wir auch, dass
jede Sprosse der Leiter nur unter Opfern
erstiegen werden kann, dass das Leben
ausströmt, um in einer höheren Form
sich wieder einzufinden, während die
alte Form, die es umschloss, in Stücke
geht. Denen, welche nur auf die unter-
gehende Form blicken, erscheint die
Natur als ein großes Beinhaus; während
Die, welche sehen, wie die unsterbliche
Seele nur enteilt, um neue und höhere
Formen anzunehmen, stets den Freuden-
gesang der Geburt aus dem nach aufwärts
strömenden Leben hören.
Die Monade im Mineralreich entwickelt
sich dadurch, dass ihre Formen zur Her-
vorbringung und Unterhaltung von Pflanzen
aufbrechen. Das Mineral löst sich auf,
damit aus dem von ihr gelieferten Material
die Form der Pflanze aufgebaut werden
kann; die Pflanze entzieht dem Boden
ihre Nährbestandtheile, bricht sie auf
und nimmt sie in die Substanz ihres
eigenen Körpers auf. Die Mineralform
vergeht, damit die Pflanzenform sich ent-
falten kann, und dieses dem Mineralreich
aufgedrückte Gesetz des Opfers ist das
Gesetz der Evolution von Leben und
Form. Das Leben fließt weiter, und die
Monade bringt in ihrer Weiterentwicklung
das Pflanzenreich hervor, indem der Unter-
gang der niederen Form für das Erscheinen
und den Fortbestand der höheren die
Bedingungen liefert.
Im Pflanzenreich wiederholt sich dieses
Schema: denn seine Formen werden
der Reihe nach geopfert, damit Thier-
formen entstehen und wachsen können;
allerwärts gehen Gräser, Körner, Bäume
zur Erhaltung thierischer Körper zugrunde;
ihre Gewebe zersetzen sich, damit die
Elemente, aus denen sie bestehen,
vom Thier assimiliert und zum Aufbau
seines Körpers verwendet werden können.
Wiederum ist das Gesetz des Opfers der
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Welt aufgedrückt, diesmal dem Pflanzen-
reich; sein Leben entwickelt sich weiter,
während seine Formen untergehen; die
Monade evolviert, um das Thierreich her-
vorzubringen, und die Formen werden
aufgeboten, damit die Thierformen her-
vorgebracht und erhalten werden können.
Bis hieher war der Gedanke des
Leidens mit dem des Opfers kaum irgend-
wie verknüpft; sind doch, wie wir im
Verlauf unserer Untersuchung sehen, die
Astralkörper der Pflanzen nicht genügend
organisiert, um irgend eine acute Empfin-
dung, sei es von Wonne oder Schmerz,
zuzulassen. Betrachten wir aber das Ge-
setz des Opfers in seiner Wirkung auf
das Thierreich, so können wir der Erkennt-
nis des Leidens nicht entgehen, das in
der Zerstörung der Formen enthalten ist.
Die Größe des dem Thier verursachten
Leidens, das einem anderen zum Opfer
fällt, ist im »Naturzustande« allerdings
im einzelnen Falle vergleichsweise ver-
schwindend, ein gewisser Grad von
Leiden ist aber immerhin damit ver-
knüpft. Ebensowenig ist zu leugnen, dass
der Mensch bei der Rolle, die er in der
Beförderung der Evolution der Thiere ge-
spielt, dieses Leiden noch bedeutend ver-
mehrt und die raubsüchtigsten Instincte
der fleischfressenden Thiere eher noch
verstärkt als vermindert hat; er pflanzte
ihnen jedoch diese Instincte nicht ein,
wenn er auch für seine eigenen Zwecke
daraus Vortheil zog, und zahllose Abarten
von Thieren, mit deren Evolution er direct
nichts zu thun hat, fallen sich gegenseitig
zum Raub, wobei die Formen der einen
der Erhaltung der Formen der anderen
aufgeopfert werden — gerade wie in dem
Verhältnis zwischen dem Mineralreich und
dem Pflanzenreich. Der Kampf ums Da-
sein wüthete schon lange, ehe noch der
Mensch auf der Bildfläche erschien, und
beschleunigte gleicherweise die Evolution
von Leben und von Form, während den
Leiden, die die Zerstörung von Formen
begleiteten, die langwierige Arbeit zufiel,
der sich entwickelnden Monade die flüch-
tige Natur jeglicher Form und den Unter-
schied zwischen der untergehenden Form
und dem fortdauernden Leben zum Be-
wusstsein zu bringen.
(Schluss folgt.)
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