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Obstfelder, um seinen eigenen Ausdruck
aus einem anderen Werk zu benutzen,
Denen an, die der Musik des Lebens zu
lauschen verstehen. Dieselbe intime Natur-
auffassung ist bei Beiden, dasselbe Gefühl
des Ichs als eines blumengleich lebenden
Theiles der großen Natur, und manchmal
kann man bei dem modernen norwegischen
Schriftsteller Metaphern begegnen, die
seine Dornroserei sind, wie wenn er z. B.
den Weltenraum mit einer großen, beben-
den Thräne vergleicht, in der alle Sterne
und Sonnen schwimmen.
Just in diesen Tagen hat eine post-
hume Arbeit von Obstfelders Hand das
Licht gesehen. Der erste Eindruck, den man
bekommt, wenn man »Das Tagebuch eines
Geistlichen« liest, ist Schrecken. Es ist
kein so rücksichtslos originelles Buch, dass
auch Der, der Verschiedenes gelesen hat,
nicht weiß, womit er es vergleichen soll.
Die Ideensphäre hat es gemeinsam mit
Pascal und Kirkegaard, es ist derselbe
Ringkampf auf Leben und Tod für die
Lebensanschauung, derselbe Jakobskampf
mit Gott; aber keine Vergleiche können
auch nur einen Schimmer wiedergeben
von der Phantasie, dem erhabenen Flug
in diesem wahnsinnigen und geistreichen
Buch. Auf den 158 Seiten, woraus der
Band besteht, findet sich keine Spur von
einer Art Handlung, die das breite Publi-
cum der gewöhnlichen Romane inter-
essieren kann. Es ist des Gedankens Aben-
teuer auf den Fjâllspitzen, es ist des
Traumes und des Wahnes Klettern nach
den Sternen, das die Intrigue ausmacht.
»Der Held« und der einzige Auftretende
im Buche, dessen Präludien (in Paranthese
gesagt) sich in Obstfelders 1897 heraus-
gegebenem excentrischen Drama »De röda
dropfarna« (Die rothen Tropfen) finden,
jener geheimnisvollen Mixtur, die »die
Lebens-Atome wieder in Ordnung bringen«
und den aus dem Gelenk gegangenen
Weltmechanismus wieder einrenken sollte,
ist ein Geistlicher, der vor Entsetzen
stöhnt unter den heiligen Pflichten, die
auf ihm ruhen. Er, der Unreine, der vom
Weibe Geborene, der nicht imstande ist,
den armen Menschen das geringste Räthsel
zu lösen, er soll der Mittler sein zwischen
ihnen und ihrem Gott! »Wer ist dieser
Gott?« ruft er. »Lasst mich ihn sehen.
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Lasst mich sein Angesicht sehen. Lasst
mich sehen, was er mit den Geschöpfen
meint, die er geschaffen hat.«
Und er begibt sich auf Entdeckungs-
reisen. Bald ist er über die Grenzen der
festgestellten Theologie. Er fährt fort, nach
seinem Gott zu forschen, bald in schwarzer
Verzweiflung über das Vergebliche im
Fragen und Suchen, bald mehr resigniert
und hoffnungsvoll: »Geschlecht nach Ge-
schlecht gehörte dazu, um ein einziges
Naturgesetz zu finden, Geschlechter von
Jahrhunderten gehörten dazu, um den
herrlichen Anblick zu sehen: den Erdball
um die Sonne tanzen, die Sonne im Welten-
raum eilen. Geschlechter von Jahrtausen-
den gehörten dazu, um das zu verstehen,
dass Laut, Licht, Wärme, Schwingung
ist, Rhythmus von Molecülen Dieser
Erde Leben, unter der Erden Leben, unter
der Sonnen Bahnen, ist es lange für der
Menschen Kinder Geschlecht, das mit
Zahlen gezählt werden kann, um Den zu
suchen, der die Musik hinaus in den Welt-
raum blies? Ist es denn so lange, seit die
Menschen sich vom Staub erhoben und
begannen auf der Erde zu gehen und be-
gannen aufzusehen! Wie gestern scheint
mir oft des Erdenlebens Morgen, wo das
Mammutthier sich auf dem neugeborenen
Himmelskörper sonnte. Wie heute Morgen
scheinen mir die Tage, wo die Kaiser-
reiche alt und grau wurden und hingiengen
und starben. Nicht bloß eins, viele Leben
müssen wir wohl suchen. Selbst verändert
werden, suchen mit besserem Licht, viel-
leicht uns nähern, uns nähern, einst
finden!«
Aber unter diesen Entdeckungsfahrten
entfernt sich sein Gott immer weiter von
ihm. Je heißer er über sein Wesen ge-
grübelt hat, desto weiter hinein in den
Himmelsraum begibt sich der Gott, wächst
aber gleichzeitig und schießt über alle
Grenzen bisher aufgekommener Religionen,
bis er endlich als Centrum im Universum
steht, als Mittelpunkt für die Myriaden
von Planeten und Sonnen, die ihre Bahn
im Weltenraum dahinwirbeln. Die Evo-
lution des Gottesgedankens, das ist des
Buches großartige Idee:
»Bei den Chaldäern war die Astro-
nomie Religion und die Priester waren
Forscher. Und jetzt? Wer sind der Zeit
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