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In die Hut des Menschen sind die
beiden constituierenden Principien gegeben:
das Göttliche (Metaphysische), das die
Edelsten in seinem Dienste hält und
identisch ist mit dem Streben zur Er-
lösung, das nur dem Rein-Gesinnten er-
kennbar ist — der Gral (»auf Pfaden, die
kein Sünder findet,« vergleiche »Wer
immer strebend sich bemüht, den können
wir erlösen«) und der Speer. Zum
Verständnis der Dichtung ist die symboli-
sche Bedeutung des Speeres wichtig. Es
kann beirren, dass mehreremale betont
wird, der heilige Speer sei dieselbe Waffe,
mit der Christi Blut vergossen worden,
und man möchte versucht sein, der Waffe
einen hohen Wert als Reliquie zuzu-
sprechen. Diese Auffassung wäre irrig.
Der Speer ist durchaus nicht historisch,
sondern rein symbolisch zu deuten. Er
versinnbildlicht das Immanente im Gegen-
satze zum Transcendenten (dem Gral), die
unharmonische Welt der Erscheinungen, an
deren Biss einst Christus verblutete. Solange
die beiden Principien in reiner Hand (Titurel)
vereinigt bleiben, wirken die Gralritter »zu
höchsten Rettungswerken«. In Amfortas
jedoch sind die beiden Richtungen aus-
einander getreten. Durch Klingsor und
dessen Werkzeug Kundry, deren Bedeutung
später zu erörtern sein wird, verwundete
ihn die eigene Waffe und damit beginnt
der Verfall der Ritter. In unendlicher
Vielspaltigkeit bekämpft sich die Welt der
Erscheinungen, die Sünde wächst, die
Wunde kann sich nicht schließen. Auch
Klingsor hat früher nach der Befreiung
gestrebt, aber durch Selbstentmannung
aus Verzweiflung ist er zu ewiger Steri-
lität verdammt, er kann die Erlösung nicht
sich, noch anderen erlangen. Sein Trachten
geht nun folgerichtig dahin, alle Macht an
sich zu reißen. Er wird so zum Repräsen-
tanten des defecten, nicht nur unethischen,
sondern auch anti-ethischen Menschen, der
Gewalt über das Weib hat. Sein dämo-
nisches Mittel ist die Sinnlichkeit. Der
Speer wird in seiner Hand zum Quell des
Übels, ja er hofft im Gefühle seiner Über-
legenheit den begehrenden Menschen
gegenüber das reine Princip vollständig zu
besiegen: »Bald hüt’ ich mir selbst den
Gral«. Durch Klingsors Macht hat sich
die Erscheinung in unheilvollem Zwiespalt
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gegen die geistigen Menschen gewendet.
Amfortas und die Ritter, die, obzwar
intellectueller Natur, doch nicht die Kraft
zu befreiender That haben, sind verurtheilt,
in fruchtloser Ohnmacht dahinzusiechen.
Der Gral spendet ihnen keine Nahrung
mehr, sie leben kümmerlich von Früchten
des Feldes.
Parsifal, der geniale und reine Mensch,
weiß den Speer durch Entsagungs-That
zu gewinnen und treu zu hüten: der
Speer tritt in sein drittes Stadium, das
Physische kehrt zum Metaphysischen zurück.
(»Die Seele kehrt zurück in ihren eigenen
Grund; da verliert sie ihren Namen und
ist nichts mehr als Gott in Gott.« Meister
Eckhart 503, I.)
Der erlösende Mensch, der keinerlei
durch Tradition erworbene Kenntnisse
besitzt (Parsifal ist fern von den Menschen
im Walde aufgewachsen), »der reine Thor«,
der es auch verschmäht, durch Fragen
Kunde zu erwerben, erkennt vermöge
seiner Genialität intuitiv das Wesen der
Welt, er wird »durch Mitleid wissend« —
ein Erleuchteter. Mit tiefer Kunst ist in
der Verführungs-Scene des zweiten Actes
das Erwachen des ethischen Bewusstseins
dargestellt. Klingsor erkannte es wohl,
dass an der Besiegung des zur Erlösung
Prädestinierten am meisten gelegen sei.
Die schweren, betäubenden Düfte, mit
denen der tellurische Kreis Parsifalen
durch seine Generations-Organe, die wilden
»süchtigen« Blumen des Zaubergartens,
umfängt, besiegen ihn nicht. Da sendet
der Zauberer das stärkste Werkzeug gegen
den Thoren, das Mittel, das noch nie
versagte, die dämonische Macht des
Weibes, in Kundry verkörpert, nachdem
die Blumenmädchen, die naiv sinnlichen
»kindischen Buhlen«, nichts vermochten.
Die Mittel, deren sich Kundry bedient,
um Parsifal zu fällen, sind von höchstem
Raffinement. Durch Erwähnung der ge-
liebten, lange verlassenen Mutter weiß
sie in ihm wehmüthige und zärtliche
Gefühle aufzuregen, die sie auf sich über-
zuleiten sucht, indem sie ihre Liebe gleich-
sam als Ersatz für die Herzeleidens dar-
stellt. Aber anstatt die beabsichtigte
Wirkung hervorzurufen, machen ihn ihre
Liebkosungen »weit-hellsichtig«. Er ge-
denkt der aus Sehnsucht nach ihm ge-
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