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das: »Verkaufe alles, was du hast und
gib’s den Armen und folge mir nach«
mit dem Nachwort: »Wie schwerlich wird
ein Reicher ins Himmelreich kommen!«
Ist uns denn die Wahrheit noch immer
so fremd, so wenig in Fleisch und Blut
übergegangen, dass wir alles auf dieser
dunklen Erde zum Austrag bringen
wollen? Verstehen wir heute noch so
wenig das: »Gebt dem Kaiser, was des
Kaisers und Gott, was Gottes ist!« Ist
da die Steuer der Juden gemeint und mit
dem Kaiser der Kaiser Augustus? Oder
ist der »Kaiser« die Materie, der wir Alle
unterstehen, in deren Reichen wir eine
Spanne Zeit unsere Entwicklungs-Be-
dingungen finden und der wir »Zins« zu
zahlen haben, was uns aber doch nicht
unseres Privilegiums verlustig macht, Gott
zu geben, was Gottes ist, von ihm zu
empfangen, was wir zu fassen imstande
sind? Müssen wir unter dem, was wir
»verkaufen« sollen, um den Erlös den
Armen geben zu können, nur irdisches
Hab und Gut verstehen? Sind wir nicht
Kinder der Ewigkeit? Ist da nicht viel-
mehr auf das wahre Opfer, das das
Lebensentwicklungsgesetz des Universums
ist, hingewiesen? Das Niederlegen der
Herrlichkeit und Seligkeit, in die wir
kraft unserer Entwicklung, infolge unseres
»Reichthums« eingehen könnten, um den
»Armen« — unseren jüngeren Brüdern —
die Reichthümer zu bringen: Wahrheit,
Klarheit und Kraft, die wir infolge
unseres Opfers für sie zu materialisieren
imstande sind? Als Bedingung, solche
Reichthümer erwerben zu können: das
Verständnis und die Materialisation oder
Offenbarung des mosaischen Gesetzes:
»Liebe Gott über alles und deinen Nächsten
wie dich selbst!« »Wie schwerlich wird
ein Reicher in das Himmelreich eingehen!«
Unter »Himmelreich« müssen wir da den
höchsten Entwicklungszustand verstehen,
den wir zu erreichen vermögen, das
Nirwana der Buddhisten, die »Anschau-
ung Gottes« der christlichen Kirchen, die
Vollkommenheit des Geistes nach spirituali-
stischer, das Freiwerden Atmans nach
theosophischer Lehre. Was liegt an der
Verschiedenheit der Benennungen? Die
Sache ist doch dieselbe. Das Himmelreich
ist ja kein Raum, sondern ein Zustand,
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ein Zustand, den wir eben nur erreichen,
indem wir die Gesetze Gottes verstehen
und erfüllen, und der Grundstein der Ge-
setzeswelt ist das Gesetz des Opfers, das
uns zuerst die negative Freude des Auf-
hebens der Leiden erschließt, dann uns
in die positive Freude der Opferseligkeit
einführt, da das Gesetz des Opfers wie
das Gesetz der Liebe eine Quelle hat:
im ewigen Urgrund des Seins: Gott.
Die Definition der Liebe, wie sie im
neuen und an vielen Stellen des alten
Testaments gegeben wird und wie ich
sie auch aus theosophischen Schriften
verstanden habe, differiert allerdings von
der definitiven, die Th. Schultze aus der
Bibel und aus dem Christenthum gezogen
hat. Er sagt (Seite 89): »Wenn man die
Stellen des neuen Testaments, welche von
der Liebe handeln, durchsieht, so findet
man darunter keine, in welcher auch nur
ein Versuch gemacht wäre, das Wesen
der Liebe als eines innerlichen (subjectiven)
Gemüthszustandes darzulegen.« — Nun
werden Schriftstellen angeführt, in denen
entweder der Liebe bloß lobend und
empfehlend gedacht oder worin das Motiv
angegeben wird, aus welchem sie entspringt
oder entspringen soll, auch die Wege
bezeichnet werden, die zur Liebe führen,
endlich auch noch eines Lohnes der Liebe
gedacht wird. Th. Schultze sagt weiter
(Seite 91): »Im Deutschen bezeichnet Liebe
das Gefühlsverhältnis zu einem Gegen-
stande, von welchem der Liebende weiß,
dass durch denselben in ihm (dem Liebenden
selbst) angenehme Empfindungen erweckt
werden können. So sagen wir von jemandem,
er liebe eine wohlbesetzte Tafel, Spiel,
Tanz, Jagd etc. etc., vor allem aber
brauchen wir das Wort sensu stricto
zur Bezeichnung der Anziehungskraft,
welche die beiden Geschlechter aufeinander
ausüben. Weiter sprechen wir von Mutter-
liebe, Kindesliebe etc., aber in alledem
fehlt die Rücksichtnahme auf die innere
Selbstbefriedigung, welche dem Liebenden
durch den geliebten Gegenstand zutheil
wird, durchaus nicht.«
Wir schauen verschiedene Erscheinungs-
formen der Liebe, und je nach unserer
Entwicklungsstufe ändert sich nothwendiger-
weise das Bild. In niederen Organismen
können die Lebewesen vielleicht nur das
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