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empfinden, was sich durch gewisse Organe
in ihnen äußern kann. So mag für
die Thiermenschen vergangener Entwick-
lungs-Epochen die Sinnlichkeit, die derbste
Form der Liebe und die einzige, auf die
solche Wesen überhaupt zu reagieren
vermochten, gewesen sein. Wenn Liebe
die Ureigenschaft des Urgrundes alles
Seins und das Motiv seiner »Selbst-
begrenzung und Offenbarung«, mit anderen
Worten: des Entstehens der Form ist,
die der individualisierte göttliche Licht-
strahl um sich nimmt, und wenn dieser
Act das Opfer des Logos gewesen und
das Opfer dadurch zum ersten Entwicklungs-
Gesetz des Universums geworden, dessen
sich kein Lebewesen zu entziehen vermag,
so muss Liebe bei jedem Individuum
dieselbe Entwicklungsreihe durchmachen,
wie Opfer, und muss stets auch bei
uns das Leitmotiv des Opfers sein. Zuerst
die Liebe zum Selbst, der Wunsch, an-
genehme Empfindungen in der niederen
Natur, mit der das Lebewesen sich noch
identificiert, zu erregen — auch eine Form
der Sinnlichkeit —, dann der Wunsch,
solchen Wesen, die angenehme Empfin-
dungen in ihm erregen, Gleiches mit
Gleichem zu vergelten, dann das Identi-
ficieren des Ich mit einigen wenigen
Wesen, wie es in der Art der Mutter-
liebe liegt, der Mutterliebe, der sich
vielleicht zuerst die Erkenntnis erschließt,
dass das Opfer nicht nur Leiden, sondern
auch Freuden enthält. Und so fort. In
aufsteigender Linie durch alle Phasen
der Freundesliebe und der Nächstenliebe
offenbart sich uns diese Ureigenschaft
Gottes, die ja folglich auch unsere
Ureigenschaft sein muss, immer klarer,
immer herrlicher, bis sie alle Schranken
durchbricht und auflöst in ihrem heiligen
Lichte, und wir jauchzend erkennen, dass
Liebe, Opfer und Seligkeit ein Begriff,
ein Element sind: die Urwesenheit des
Urgrunds alles Seins — hiemit unsere
eigene Urwesenheit.
Wenn daher Th. Schultze (Seite 93)
sagt: »Es kann niemand das Gefühls-
verhältnis, welches den Namen Liebe führt,
mit Bezug auf einen gewissen Gegenstand
deswegen in sich erzwingen, weil ihm
das von irgend einer Autorität, sie möge
so hoch sein wie sie wolle, geboten
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worden ist«, so ist das so richtig, wie
niemand von einem Sämling Blüten und
Früchte durch Gebete erzwingen kann,
bevor die Zeit der Reife dieses Stadium
seiner Wesenheitsentwicklung herbeigeführt
hat. Wenn er aber weiter sagt: »Wenn
die nothwendige Prämisse dafür fehlt,
wenn der zu liebende Gegenstand nicht
geeignet ist, in dem Liebensollenden an-
genehme Empfindungen zu erregen, so
wird ungeachtet eines selbst göttlichen
Gebetes keine Liebe zustande kommen«,
so spricht er dabei nur von der unvoll-
kommenen Form der Liebe, die durch die
niedere Entwicklung des Liebenden bedingt
ist. Nun sagt Th. Schultze weiter: »Jeden-
falls ist eine Liebe aus Gehorsam gegen
das Gebet eines persönlichen Gottes nicht
echter als die Frömmigkeit der Soldaten,
die auf militärisches Commando in die
Kirche marschieren.« Es ist eigenthümlich,
wie in der Wechselwirkung aller Entwick-
lungsfactoren zu einander jedes Lebewesen
gewissermaßen auf äußere Reize reagiert,
um ihm innewohnende Kräfte zu wecken
und auszulösen. Wir finden eben auf
unserer Entwicklungsstufe in der Welt der
Erscheinungsform unsere Entwicklungs-
bedingnisse, wir unterstehen gewissermaßen
dem Gesetze der Form. Indem wir aner-
kennen und dem Anerkannten leben,
erfüllen wir die Bedingnisse, die es dem
geistigen Funken der Erkenntnis ermög-
lichen, in uns aufzuflammen mit einem
Lichte, das uns nie mehr erlöschen kann.
Es ist daher nicht »unrecht«, wenn ein
Mensch, der noch nicht fähig ist, wahre
Liebe zu empfinden, aus seiner Anerken-
nung der Schönheit der Gebote der
Nächstenliebe diese ausübt, diese lebt. Es
ist allerdings nur die Form der Nächsten-
liebe, der er gerecht wird, aber er unter-
steht eben noch den Gesetzen der Form —,
der Geist, der diesen zugrunde liegt, kann
sich ihm formlos noch nicht offenbaren.
So arbeitet er gewissermaßen von außen
nach innen, bis plötzlich die Kraft der
Erkenntnis, durch die Erfüllung niederer
Gesetze ausgelöst, zum Factor all seines
Wollens und Handelns wird, die drei
Empfindungsreiche (wenn ich sie so nennen
darf): Liebe, Opfer und Seligkeit zu einer
Empfindung, zum einzigen Lebensfactor
werden. Dieser hat das Ziel erreicht!
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