|
In meinem Aufsatze »Mikrokosmos und
Makrokosmos« in der »Wiener Rundschau«
vom 15. März 1900 streifte ich die Astro-
logie in Shakespeares Dramen. Der Ver-
fasser derselben hat in der That eine
genaue Kenntnis der mysteriösen Wissen-
schaft und viel Interesse dafür besessen —,
ein Umstand, der bisher hinsichtlich der
Muthmaßungen über den wahren Autor
dieser unvergleichlichen Dichtungen noch
gar nicht berücksichtigt worden ist, weil
keiner der Shakespeare-Kenner etwas von
Astrologie verstand und daher auch nicht
die Wichtigkeit dieser Seite des literarischen
Problems erkannte. Es mag ja schließlich
für Viele nun gleichgiltig sein, ob die
Epen Homers von einem oder mehreren
Verfassern herrühren und ob Shakespeare
nur ein Pseudonym ist oder nicht. Aber
immerhin besteht das Problem, und man
muss zugeben, dass die Dunkelheiten über
die Person des Dichters der Erhellung
wohl wert sind.
Der Dichter musste sich nun geradezu
jahrelang mit den lateinischen Büchern
der Astrologen und mit der Technik der
Sache selbst viel beschäftigt haben, um
die astrologischen Elemente derartig am
Schnürchen zu haben, wie in der folgenden
Stelle in »Troilus und Cressida«, I. Act,
Scene 3:
»The heavens themselves, the planets and this
centre
Observe degree, priority and place,
Insisture, course, proportion, season, form,
Office and custom, in all line of order.«
Dies hat A. W. Schlegel ohne nähere
Sachkenntnis nur ungefähr richtig so
übersetzt:
»Der Himmel selbst, Planeten und ihr Centrum
Reih’n sich nach Abstand, Rang und Würdigkeit,
Beziehung, Jahreszeit, Form, Verhältnis, Raum,
Amt und Gewohnheit in der Ordnung Folge.«
Aber wir haben im englischen Text
ein Verzeichnis von Fachausdrücken vor
uns, von terminis technicis, welche nur der
|
Arstrolog versteht. Insisture bedeutet den
Stillstand der Planeten, die stationäre
Position; course ist der Lauf, d. h. ob sie
rechtläufig oder rückläufig sind; proportion
ist der Geschwindigkeitsgrad des Laufes,
unter stason sind die Quadranten des
Horoskops zu verstehen, unter office, in
welchen Zeichen und Häusern die Gestirne
regieren; mit custom ist ihre Beschaffenheit,
ihre specifische Art der Wirkung gemeint
und form, wie sie sich gegenseitig formieren,
welche Affecte sie haben. Es ist ein voll-
ständiges Recept zur Diagnose eines Horos-
kops, das er noch bekräftigt „in all line,
of order“, d. h.: in allen möglichen, vor-
schriftsmäßigen Hin- und Rücksichten ist
dies Alles zu erwägen und zu combinieren.
Nur ein wirklicher Kenner der Astro-
logie und obendrein ein solcher, der die
Sache mit Liebe studiert hat, konnte eine
so eingehende, wenngleich im Rahmen
der Poesie flüchtige Anweisung geben.
Wie sollte ein Schauspieler, den noch
die Last der Bühnengeschäfte drückte, zu
einem solchen, äußerst zeitraubenden Stu-
dium gekommen sein? Es ist doch That-
sache, dass nicht einmal jeder Astronom
derartig mit der Astrologie vertraut war,
denn man irrt sehr, wenn man etwa
meint, sie ließe sich leicht und schon aus
Volkskalendern erlernen.
Der Dichter kennt auch die Berech-
nung der Directionen, wie aus der hier
in meinem ersten Aufsatze angeführten,
schönen Stelle aus »Richard II.«, III. Act,
Scene 1, für den Kenner hervorgeht, denn
dort ist die Wirkung der Direction der
Sonne zum siebenten Hause und also zu-
gleich in dem fatalen Gegenschein zum
Ascendenten des Horoskops geschildert:
»Es senkt sich weinend deine Sonne im West,
Die nichts als Sturm, Weh, Unruh’ hinterlässt,
Zu deinen Feinden sind die Freund’ entfloh’n,
Und widrig Glück spricht jeder Mühe Hohn.«
Das ist vollkommene Astro-
logie und solche, wie sie in den Volks-
|