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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 16, S. 324

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KNIEPF: FRANCIS BACONS UND SHAKESPEARES ASTROLOGIE.

kalendern nicht vorkommt, weil sie tech-
nisches Verständnis erfordert. Selbstver-
ständlich musste der Dichter sparsam mit
diesen Dingen umgehen, um nicht die
Aufmerksamkeit auf den Verfasser der
Astrologia sana“ (»Die gereinigte Astro-
logie«, ein astrologisches Reformbuch von
Francis Bacon) zu lenken, und Stellen
wie die obige schrieb er offenbar nur
für seine eingeweihten gelehrten Freunde.
In diesem Werke heißt es z. B.: »Eine
solche Astrologie kann mit größerem
Vertrauen gebraucht werden, aber sie
erfordert mehr Vorsicht. Die Voraus-
sagungen können gemacht werden auf
Überschwemmung, Hitze und Trockenheit,
Fröste, Erdbeben und Eruptionen, Stürme
und große Regengüsse, Pestilenz, epide-
mische Krankheiten, Kriege und Aufruhr,
religiöse Bewegungen, Auswanderung des
Volkes, große Neuerungen in allen Dingen.«
Wenn nun auch irgend ein dieses Gegen-
standes kundiger Dichter ganz ähnlicher
Überzeugung sein kann, so ist, wie ge-
sagt, doch nicht anzunehmen, dass
Shakespeare, der Schauspieler, sich
in die Astrologie derartig vertieft hat, wie
sie in diesen Poesien zum Ausdruck
kommt, und in recht bemerkenswerter
Übereinstimmung mit der soeben ange-
führten Lehrmeinung ist die Fortsetzung des
obigen Citats aus »Troilus und Cressida«:

»— — — But when the planets
In evil mixture to disorder, wander,
What plagues! and what portends! what
mutinies!
What raging of the sea! what shaking of
the earth!
Commotion of the winds!«

Zu deutsch: »Aber wenn die Planeten in
böser Mischung wandern, was gibt es
dann für Pestilenz, für schlimme Zeichen,
für Schlächtereien! Wie tobt das Meer,
wie bebt die Erde, wie rast der Wind!«

Von der Neckerei mit dem reto-
gradierenden (rückläufigen) Mars, die sich
Parolles von der Helena in »Ende gut,
Alles gut« gefallen lassen muss und worin
sich ebenfalls der bewanderte Astrolog
offenbart, habe ich in jenem ersten Auf-
satze schon gesprochen. Eine ähnliche
astrologische Hänselei findet sich in
»Was Ihr wollt« (I. 3), wo Junker Tobias
den närrischen Junker Christoph fragt:

»Sind wir nicht im Steinbock geboren?«
— »Steinbock«, meint dieser naiv, »bedeutet
Stoßen und Schlagen«. — »Nein, mein
Freund«, sagt Tobias, »es bedeutet Springen
und Tanzen. Lass mich deine Capriolen
sehen. Hopsa?« Das ist ja nun wieder
verrätherisch für des Verfassers astro-
logische Thätigkeit. Aber noch im selben
Stück (II. 1) sagt Sebastian: »Meine Ge-
stirne schimmern dunkel auf mich herab,
die Missgunst meines Schicksals könnte
vielleicht das deinige anstecken.« Im
»Wintermärchen« nennt Polyxenes den
Mond ganz astrologisch ein feuchtes
Gestirn, und im »Kaufmann von Venedig«
(II. 3) äußert sich Nerissa ganz im Sinne
der Vorherbestimmung:

»Die alte Sag’ ist keine Ketzerei.
Dass Frei’n und Hängen eine Schickung sei.«

Andererseits sucht in »Julius Cäsar«
Cassius den Brutus gegen Cäsar dadurch
aufzuwiegeln, dass er ihn mahnt:

»Der Mensch ist manchmal seines Schicksals
Meister:
Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus,
Durch eigene Schuld nur sind wir Schwächlinge.«

Dies ist wiederum im Sinne jener alten
Meinung gesprochen, wonach die Gestirne
wohl geneigt machen, ihnen zu folgen,
aber »sie zwingen nicht« — eine An-
schauung, zu der sich auch Bacon
bekannte.

Wenn man aber dies alles nur als
astrologische Spielerei eines Dichters ver-
stehen wollte, so überzeugt uns eines
seiner Sonette geradezu von seinem Glauben
an die Gestirne. Es findet sich Seite 125,
Nr. 108 der Bodenstedt’schen Ausgabe
und beginnt:

»Bedenk’ ich, dass nur Augenblicke währt.
Was zur Vollendung wächst, und nur der
Sterne
Geheimer Einfluss recht das Spiel
erklärt
Auf dieser Erdenbühne, nah und ferne —«

Kein Zweifel, unser Dichter war über-
zeugter Astrolog; man kann daher diese
Frage bei den Erörterungen über die
Herkunft der allgemeinen Bildung des
Verfassers der Dramen umsoweniger aus
dem Spiele lassen, als die Astrologie eine
sehr zeitraubende und mühsame Sache

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 16, S. 324, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-16_n0324.html)