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einandersetzungen somit ganz falsch, an-
zunehmen, die Völker-Psychologie solle die
bisherige Individual-Psychologic ganz und
gar verdrängen; es handelt sich nur um
Gleichberechtigung, ganz besonders zu-
nächst in methodischer Hinsicht. Je mehr
sich nämlich die völlige Unbrauchbarkeit
der früher so gepriesenen Selbstbeobachtung
für wirklich verlässliche wissenschaftliche
Untersuchungen herausgestellt hatte, um-
so durchschlagender wurde die Bedeutung
der durch die moderne Naturwissenschaft
nach allen Seiten hin gepflegten Experi-
mente, so dass Völker-Psychologie und
experimentelle Psychologie zugleich, wie
Wundt schreibt, die beiden einzigen Hilfs-
mittel, als auch Theile der Forschung
überhaupt sind. Denn außer dem indivi-
duellen Bewusstsein, dessen Analyse den
experimentellen Methoden zufällt und den
Erscheinungen des geistigen Zusammen-
lebens, mit denen sich die Völker-
Psychologie beschäftigt, gibt es nichts,
was Inhalt der Psychologie, als selbst-
ständiger Wissenschaft, sein könnte. Als
Hilfsmittel betrachtet, theilen sich experi-
mentelle und Völker-Psychologie derart in
die psychologischen Probleme, dass jene
die einfacheren und darum eben zu-
reichend schon innerhalb der Grenzen
des ausgebildeten Einzelbewusstseins zu
analysierenden Vorgänge behandelt, diese
dagegen jene verwickelten Functionen, die
nur auf Grundlage des Zusammenlebens
möglich und darum auch in ihren, in das
Einzelbewusstsein fallenden Formen nur
mittelst der Erkenntnis ihrer allgemeinen
Entwicklung zureichend zu verstehen sind.
Wie experimentelle und Völker-Psychologie
die einzigen Theile, so sind sie aber auch
die einzigen Hilfsmittel der Psychologie.
Die sogenannte Psychologie der reinen
Selbstbeobachtung ist weder das Eine,
noch das Andere, sondern eine rückständig
gebliebene Behandlungsweise mit unzu-
länglichen Methoden. Geschichte, Literatur,
Kunst, Biographien, Selbstbekenntnisse, die
immer noch als Quellen psychologischen
Wissens gerühmt werden, sind weder
Theile, noch Hilfsmittel, sondern Anwen-
dungsgebiete, die zwar, infolge der überall
bestehenden Wechselwirkung zwischen
Theorie und Anwendung, gelegentlich der
allgemeinen psychologischen Erkenntnis,
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förderlich sein mögen, die sich aber dem,
was zum Charakter eines Hilfsmittels
gefordert werden muss, einer methodisch
geübten, planmäßigen Benützung, durchaus
entziehen (S. 23). Dazu kommen, wie unser
Gewährsmann in anderem Zusammenhange
öfters hervorgehoben, die vielen, fast un-
vermeidlichen Täuschungen, welche diese
angeblich so verlässliche Selbstbeobachtung
mit sich bringt — schon Kant hat sie
verworfen; nicht geringere Bedenken be-
stehen gegen die Triftigkeit und Genauig-
keit der Kinder-Psychologie. Dagegen kann
nicht nachdrücklich genug die Tragweite
und Bedeutung der möglichst ausgedehnten
Vergleichung betont werden, die sich in
gewisser Weise dem experimentellen Be-
weise nähert. Denn was ist diese in der
Culturgeschichte, National-Ökonomie, Sta-
tistik, Sociologie u. g. w. fortwährend
geübte, comparative Methode anderes, als
ein von der Naturwissenschaft auf das
geistige, auf das sociale Leben über-
tragenes Experiment, wo die Willkürlich-
keit der unter verschiedenen Bedingungen
angestellten Beobachtungen durch die un-
ablässige Wiederholung des Vergleiches
gleicher und ähnlicher Fälle einigermaßen
ersetzt wird?
Wir können an dieser Stelle nicht auf
das wichtige Problem des Individuums und
seines Verhältnisses zur socialen Gemein-
schaft eingehen, sondern wir müssen uns
mit dem Hinweis auf das unlogische und
deshalb unhaltbare Extrem beschränken,
das sich in der Verneinung eines dieser
beiden Glieder des Weltlaufes bekundet.
Die verrannten Sociologen leugnen jede
Selbständigkeit der Persönlichkeit, die
für sie eine bloße Illusion ist, ein rück-
ständiger Rest früherer metaphysischer
Anschauungen; ihre schärfsten Gegner,
die Anhänger Nietzsches und Stirners,
erkennen jeden socialen Einfluss, jede
Abhängigkeit des Menschen vom Milieu
und feiern nur die Größe des souveränen
Ich. Beides sind, wie gesagt, höchst
willkürliche Abstractionen, welche durch-
aus nicht den Thatsachen entsprechen,
wie das auch die verschiedenen ver-
unglückten Erklärungsversuche (besonders
die verhängnisvollen Irrthümer in der Auf-
klärungs-Philosophie) zur Genüge beweisen.
Sprache, Religion, Mythologie, Recht,
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