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Der Göttin, deren Name die Über-
schrift nennt, zeigt die Philosophie zumeist
nur so mürrische Gesichter, wie dasjenige
des Xenokrates, den zu verführen bekannt-
lich eine Lais vergebens wettete, sich
nachträglich damit rechtfertigend, sie habe
auf einen Menschen, nicht auf eine Statue
gewettet. Selbst Giordano Bruno, obwohl
mehr Dichter als Denker, verwahrt sich
im Vorwort seiner Eroici furori dagegen,
aus dem Hochland der Gedankenwelt in
das stellenweise sogar sumpfige Tiefland
des Sinnenlebens herabzusteigen, wo die
irdische Venus unter Myrthenbüschen das
Scepter führt, und spricht von dem
»trügerischen Schein ihrer Genüsse, die
im Entstehen verschwinden, in einem
Moment erblühen und verwelken, durch
einen bloß zum Zwecke der Fort-
pflanzung gemischten Circe’schen Trank
das Unheil dieses Daseins stiften« (vgl.
meine Übersetzung S. 5 ff.). Reine In-
tellectualisten, aller Gefühlsreize bar, gehen
ungefährdet an ihren Tempeln vorüber
und bemühen sich nicht einmal, aus den
Dichtern, die sich hier umgekehrt ver-
halten wie die Denker, eine theoretische
Anschauung ihres Wesens zu gewinnen,
und ein Spinoza macht sich, nicht die
darob lächelnde kyprische Göttin, lächer-
lich durch seine dürre Definition: Amor
est titilatio concomitante idea causae externae.
Nur die weltflüchtige Mystik entnimmt
der Geschlechtsliebe mit Vorliebe ihre
Gleichnisse und Bilder, überträgt diese
aber auf eine von ihrem sinnlichen Unter-
grunde völlig abgelöste Venus Urania, im
Gegensatz zu welcher die kyprische Göttin
ihr als Urquell der Sünde erscheint.
»Denn«, so wiederholt mehrfach Plotinos,
»für maßvoll besonnene Menschen ist
die Zuneigung zum irdisch Schönen frei
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von Sünde, aber der Abfall zur fleisch-
lichen Vermischung ist Sünde«
(Enneade III, Cap. 1). Und der Grundton
dieser Mystik erfüllt mehr oder weniger
das Christenthum, dem zweifellos das
Cölibat erhabener und heiliger gilt als
selbst die Ehe. Und dennoch:
»Nicht konnten die Götzen der Bude
Verdrängen dein göttliches Bild!
Du lächelst noch immer dem Gruße
Der Gläubigen innig und mild!«
Auch wir gehören zu den Gläubigen,
aber zu den denkenden. Wir fürchten
nicht, dass sie sich in ihrer keuschen
Nacktheit durch eine denkende Be-
trachtung beleidigt fühlt, vorausgesetzt,
dass dieses Denken sich mit derselben
Unbefangenheit in ihr Wesen zu versenken
bemüht, wie die Betrachtung ihrer Künstler
und Dichter. Dabei werden wir nicht den
Spuren solcher Schrittmacher aus der
philosophischen Halbwelt folgen, die durch
gespreizte Rhetorik in ihren Huldigungen
an sie mit ebenso schlechten Dichtern in
Wettbewerb treten, wie z. B. der Spanier
Catalina, der seine Prunkrede über die
Liebe in seinem Buche „La mujer« mit
der Phrase beginnt, dass, wer über die
Liebe schreiben wolle, dies nur mit einer
Feder thun dürfe, die er den Schwingen
der Eros entrissen; oder gar der schwul-
stigen »Pikanterie« eines Mantegazza oder
Stendhal; ziemlich wertlos erscheint uns
auch die Lecture des zweibändigen Werkes
des schwerfälligen deutschen Populär-
philosophen Ramdohr: „Venus Urania“
oder »Über die Natur der Liebe, über
ihre Veredelung und Verschönerung«
(Leipzig, 1798). Wir wollen einmal die
moderne Entwicklungslehre, den soge-
nannten Darwinismus, der auf so manches
philosophische Problem überraschende
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