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Streiflichter wirft, darauf ansehen, ob er
uns auch über das Wesen der geschlecht-
lichen Fortpflanzung, deren geheimnis-
volle Natur für die Philosophen von Fach
und die Eule der Minerva ein noli me
tangere gewesen ist, umflattert nur von
girrenden Tauben der Lyrik, eine Auf-
klärung bietet.
Da lernen wir denn alsbald, dass die
Geschlechtsdifferenz keineswegs an und
für sich eine conditio sine qua non der
Fortpflanzung ist, dass es also von
vornherein eine Entwürdigung der Kypris
ist, sie lediglich zur Erhalterin des
Lebens der Gattung zu stempeln, dass
vielmehr »der Vorgang, den wir in der
Conjugation und in der Befruchtung vor
uns sehen, an und für sich mit der
Fortpflanzung nichts zu thun hat«
(Weißmann, »Amphimixis«, S. 154). »Der
Vorgang der Fortpflanzung«, schreibt
Häckel (»Natürliche Schöpfungsgeschichte«,
S. 167) »ist weiter nichts, als ein Wachs-
thum des Organismus über sein indi-
viduelles Maß hinaus. Es ist an sich
nicht mysteriöser, als die Ernährung,
welche eine Vorbedingung dieses Wachs-
thums ist«. Die Fortpflanzung der nieder-
sten Lebewesen, der Monaden, vollzieht
sich durch Selbsttheilung, welche
eintritt, sobald ein Individuum durch Auf-
nahme fremder Eiweißmaterie eine ge-
wisse Größe erlangt; es zerfällt alsdann
in zwei Hälften, deren jede das einfache
Spiel der Lebens-Erscheinungen, Ernährung
und Fortpflanzung von neuem beginnt.
Ebenfalls noch sichtbar unter den Begriff
des Wachsthums fällt die Fortpflanzung
durch Knospenbildung. Während bei
der Selbsttheilung das Wachsthum, welches
die Fortpflanzung einleitet, ein totales ist
und den ganzen Körper betrifft, und dem-
gemäß auch die Theilung den Körper so
gleichheitlich zerlegt, dass wir keines der
neu erzeugten Individuen als das ältere
(elterliche), erzeugende ansehen können,
beschränkt sich hier die Abtrennung auf
einen verhältnismäßig kleinen Theil des
in bestimmter Richtung wachsenden Kör-
pers, der als »Spross«, als »Kind« des
größeren und älteren, seine Identität
wahrenden »Stamm«-Individuums erscheint.
Noch weiter differenziert sich die Fort-
pflanzung vom Ur-Phänomen des bloßen
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Wachsthums in der Keimknospen-
bildung und der von dieser sich wenig
unterscheidenden Keimzellenbildung.
Hier ist es entweder eine kleine Zellen-
gruppe oder, z. B. bei der Sporenbildung,
eine einzelne Zelle, welche sich im Innern
des »zeugenden« Organismus absondert
und sich erst weiter entwickelt, nach-
dem sie aus jenem ausgetreten ist. Nach-
dem diese Keimzelle oder Keimzellengruppe
das Eltern-Individuum verlassen hat, be-
ginnt sie auf der Grundlage selbständiger
Ernährung den Process der Serostunter-
scheidung (Theilung) unter Wahrung des
Zusammenhanges, und bildet so einen
vielzelligen Organismus, welcher durch
Wachsthum und allmähliche Ausbildung
die erblichen Eigenschaften des elterlichen
Organismus wieder erlangt.
Den Übergang von dieser Fortpflan-
zungsform zu der bei höheren Pflanzen
und Thieren vorherrschenden geschlecht-
lichen Fortpflanzung bildet nun das
Phänomen, dass bei vielen Protisten
die Vermehrung durch Theilung und
Sporenbildung erst erfolgt, nachdem inner-
halb des elterlichen Organismus eine
Verschmelzung zweier anfangs ge-
trennter Zellen oder Zellengruppen erfolgt
ist (Conjugation oder Copulation). Der
Organismus sondert in sich selbst zwei
verschiedene Zeugungsstoffe: die Samen-
zellen und Eizellen, ab. Da hier ein und
dasselbe Individuum das männliche und
das weibliche Princip in sich vereinigt,
bezeichnet man dieses Stadium als Herma-
phroditismus (Zwitterbildung). Man fühlt
sich versucht, hierher den Wahrheits-
gehalt des bekannten platonischen Mythos
von einer ursprünglich hermaphroditischen
Natur des Menschen zu verlegen. Was
auf höheren Stufen der Wesensleiter nur
noch scheinbar und als Missbildung, als
Entwicklungshemmung, nämlich als Un-
entschiedenheit zwischen weiblicher oder
männlicher Ausprägung der Fortpflanzungs-
organe und daher selbstverständlich un-
fruchtbare Spielart (Lusus naturae) auftritt,
erscheint hier als nothwendiger Durch-
gangspunkt auf der stetigen Bahn fort-
schreitender Arbeitstheilung in der Werk-
stätte der Natur. Jene ursprüngliche »Intro-
selection« vervollkommnet sich nun zur
Personal-Selection, indem allmäh-
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