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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 17, S. 336

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KUHLENBECK: DIE GESCHLECHTSLIEBE IM LICHTE DER DESCENDENZ-THEORIE.

lich sich die einzelnen Individuen auf die
Erzeugung nur eines der beiden Zeugungs-
stoffe, entweder des männlichen oder des
weiblichen, beschränken (Nicht-Zwitter,
Gonochoristen). (Vgl. hiezu Häckel, »Natür-
liche Schöpfungsgeschichte«, S. 167 ff.)
Wie um uns zu erinnern, dass die Ge-
schlechtsdifferenz, obwohl sie auf den
höheren Wesensstufen fast ausschließlich
waltet, doch nicht die Ursache, sondern
nur eine Begleit-Erscheinung der Fort-
pflanzung ist, wiederholt sich bei ein-
zelnen, schon hoch organisierten Thier-
gattungen, z. B. bei Krebsen, bei Bienen
jene auffällige »ungeschlechtliche« Fort-
pflanzung der Parthogenese oder
Jungfernzeugung.

Es handelt sich hier um eine Ent-
wicklungsfähigkeit weiblicher Keim-
zellen ohne Befruchtung; die Parthogenese
hat sich aus der zweigeschlechtlichen Fort-
pflanzung entwickelt durch Ausfall der
Männchen und männlichen Keimzellen.
(Weissmann, Amphimixis, S. 96.)

Was lehrt nun dieser kurze entwick-
lungsgeschichtliche Rückblick dem denken-
den Beobachter über das Wesen der
Kypris oder, um hier bei dem naturwissen-
schaftlichen Ausdruck des von ihr be-
herrschten Vorganges zu bleiben, über die
Bedeutung der »Amphimixis«?

Offenbar steht sie nicht sowohl im
Dienste der Fortpflanzung und Erhaltung
des Lebens an sich, als vielmehr im
Dienste seiner Steigerung und fort-
schreitenden Differenzierung, das heißt
Individualisierung. Die bloße Er-
haltung und das rein conservative
Erbrecht der Natur würde durch die un-
geschlechtliche Fortpflanzung weit besser
gewährleistet; bei der bloßen Selbst-
theilung sind Eltern und Kinder über-
haupt nicht, bei der Fortpflanzung durch
Knospen-, beziehungsweise Sporenbildung
nur durch raumzeitliche Coëfficienten zu
unterscheiden, und als auffallendstes Re-
sultat der Parthogenese kennzeichnet
Weissmann (a. a. O., S. 85 ff.) die un-
gemein große Ähnlichkeit der Nach-
kommen einer Mutter sowohl unter sich,
als mit der Mutter. Daher müssen wir
mit diesem Biologen die Bedeutung der ge-

schlechtlichen Fortpflanzung darin finden,
»den Betrag an individueller Varia-
bilität
zu sichern, welcher für die phy-
letische Entwicklung der Organismenwelt
durch Selectionsprocesse nöthig
ist.« »Die stets von neuem wiederholte
Vermischung zweier Individualitäten ist
erforderlich, damit Selectionsprocesse
die nöthige Auswahl von Combinationen
individueller Eigenschaften vorfinden.«
»Individuelle Variabilität ist die un-
entbehrliche Voraussetzung aller Selection-
processe,« »die stete Vermischung der
individuellen Vererbungs-Tendenzen, wie
sie durch geschlechtliche Fortpflanzung ge-
setzt wird, ist die Quelle dieser Variabilität«.
(Weissmann, a. a. O., S. 128.)

Kypris also ist die Führerin
im Emporgang des Lebens und
des Geistes
(des Bewusstseins).
Sie muss aber eine sehende, eine ziel-
bewusste
Führerin sein, nicht eine
Magd des blinden Zufalls.

Dies beweist ein einfacher Hinweis auf
die Nothwendigkeit einer Auswahl, einer
geschlechtlichen Zuchtwahl. Die
Selections-Tendenz würde verloren gehen
durch Panmixia, d. h. Paarung be-
liebiger Individuen ohne vorhergehende
Auswahl, lediglich nach dem Zufall.
Panmixia oder eine freie Liebe im plebejisch-
communistischen Sinne der Promiscuität
führt nicht zur Vervollkommnung, nicht
zur Ausprägung eines besseren Typus,
sondern ist die einzige Quelle der De-
generation
oder Entartung. Die
Naturwissenschaft bestätigt hier die ernste
Lehre, welche Graf Gobineau uns in
seinem, sich hoffentlich mehr und mehr
das Verständnis der besseren Völker er-
ringenden Werke über die Ungleichheit
der Menschenrassen aus der Geschichte
begründet: Die Rassenwerte und die ge-
schlechtliche Zuchtwahl, die sich in der
Menschheit mehr und mehr zum aristo-
kratischen Bewusstsein ausbilden muss,
wenn anders die Menschheit selbst im
Kampf ums Dasein bestehen soll, sind die
einzigen Träger des Fortschrittes und der
Civilisation, aller Culturverfall ist De-
generation
, d. h. Verlust an Rassenwert
durch Mischung mit minderwertigem Blute.*

* Das von uns vertretene System erklärt die Rassenwerte zwar für wichtig als Symptome,
aber nicht als Ursachen und, wie alles Physiologische, als secundär. Anm. d. Red.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 17, S. 336, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-17_n0336.html)