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Obwohl alle die verschiedenen Arten,
die zur Zeit unseren Planeten bevölkern,
nach rückwärts hin zusammenlaufen in
eine gemeinsame Wurzel, so ist doch die
Tendenz der Entwicklung nach aufwärts
gerichtet; eine schrankenlose Variation und
Vermischungsmöglichkeit zwischen den
verschiedenen Arten aber würde alles
wieder in das ursprüngliche Chaos oder
vielmehr in etwas Schlimmeres zurück-
führen. Denn das ursprüngliche Chaos
war thatsächlich nur der Nullpunkt des
Werdens, ein unendliche Möglichkeiten
(Anlagen) in sich bergender Zustand der
Indifferenz. Blindes Spiel des Zufalls in
der Variation aber würde erst ein Chaos
von Wirklichkeiten erzeugen, einen höllischen
Wirrwarr, keinen Kosmos, wie er that-
sächlich schon, wenn auch noch in fort-
währendem Kampfe befindlich, vor uns
steht. Darum richtet die Natur, sobald sie
gewisse Richtungen des Werdens im
Kampfe ums Dasein für existenzberechtigt
erkannt hat — und über den Existenz-
wert lässt sie eben den Kampf ent-
scheiden — schließlich selber zwischen
den befestigten Arten die Scheidewand der
Unfruchtbarkeit auf.
Die Selection wirkt schaffend durch
Fortschaffen, d. h. durch Verwerfen. »Ge-
wiss geht von jeder Lebensform nur eine
bestimmte, wenn wohl auch überaus
große Zahl von Schienensträngen nach
allen Richtungen aus: die möglichen
Variationen, und zwischen ihnen liegt
schienenloses Land, auf welchem nicht
gefahren werden kann; die unmöglichen
Variationen — aber ob einer der Stränge
befahren werden soll, das hängt nicht von
ihm (dem Strange), sondern von der An-
wesenheit der Locomotive ab, und wieder-
um hängt es nicht von der Locomotive,
der Variationsursache, ab, ob dieser oder
jener Strang befahren werden, ob der Zug
nach Berlin oder Paris gehen soll, sondern
vom Locomotivführer, der seine Maschine
auf dieses oder jenes Geleise bringt«
(Weissmann, »Germinalselection«, S. 2).
Wer aber ist der Locomotivführer? Dies
ist die Frage, an der sich Weltanschau-
ungen scheiden, die Stelle, wo die Meta-
physik zum Worte kommen muss. Dass
der blinde Zufall es nicht ist, wie der
crasse Materialismus vermeint, der das
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Fundament der Dinge in gedankenlose
Atome auflöst, beweist die Verwerfung
der Panmixia im Kampf ums Dasein.
Weissmann nennt den Locomotivführer
Nützlichkeit. Aber er muss selber zu-
gestehen, dass über die Nützlichkeit erst
der Erfolg entscheidet. Sie ist also kein
Erklärungsprincip, da sie voraussetzt, was
erklärt werden soll. So groß das Verdienst
der Entwicklungslehre ist, jene lächerliche
anthropomorphe Teleologie beseitigt zu
haben, welche die ältere Naturwissenschaft
beherrschte, so wird sie doch angesichts
der gerade von ihr überall aufgewiesenen
Thatsachen der Auslese ein über Sieg und
Niederlage entscheidendes höchstes
Zweckprincip meines Erachtens nicht
entbehren können, wenn sie sich selbst
versteht. Der Kampf ums Dasein ist eben
deshalb kein gesetzloser Kampf. Über ihm
und in ihm walten Normen, ja Kampf-
richter und diese haben Schranken er-
richtet, innerhalb deren die nach Verwirk-
lichung, nach Herrschaft ringenden Ideen
allerdings freien Spielraum haben. Die
Kampfrichterin in der wichtigsten An-
gelegenheit aber des nicht bloß wechseln-
den, sondern nach immer höherer
Steigerung seines Inhaltes ringenden
Lebensspieles in der Fortpflanzung ist
Kypris oder Aphrodite, von den Griechen
zugleich als Göttin der Schönheit er-
kannt. Dass der Schönheitssinn aus dem
Geschlechtstrieb entspringt, scheint mir
unverkennbar; er aber spielt die wichtigste
Rolle bei der natürlichen Zuchtwahl. Es
entscheidet also nicht bloß die Nützlich-
keit. Denn es gehört nicht allzuviel
Ästhetik zu der Einsicht, dass Nützlichkeit
und Schönheit grundverschiedene Normen
sind.
Ihre Kampfpreise für die sich paaren-
den Individuen, welche »Helden zum
Dasein erwecken, um damit die leeren
Räume des Empyreums zu bevölkern«
(Giordano Bruno, »Ros. d.Himmels«, S. 51)
sind bekannt. Schon auf den niedersten
Stufen der Amphimixis lohnt sie mit
einem, den sinnlichen Lebenswillen in
weit höherem Grade befriedigenden Ge-
fühl, als demjenigen der Nahrungsauf-
nahme, dem Wollustgefühl, dessen
dämonische Gefahren uns der Phallus-Cult
und Kybele-Dienst niedriger Rassen veran-
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