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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 22

Text

22 KRAUS.

literarischen Jugend spielend erlernt. Den jüngsten Kritikern
öffnete er die Spalten seines neugegründeten Blattes, welches
allwöchentlich den Bahnbrecher und seine Epigonen in engster
Nachbarschaft sehen liess und noch heute eine nur durch
die Verschiedenartigkeit der Chiffren gestörte Stileinheit
aufweist. Damals, als er noch nicht die abgeklärte Ruhe des
weimarischen Goethe besass, war es für die Anfänger noch
schwer, ihm durch das Gestrüpp seines seltsam verschnörkelten
und kunstvoll verzweigten Undeutsch zu folgen. Heute, wo
er Goethe copirt, findet er die meisten Nachahmer. Kaum
einen seiner Schüler gibt es, der um den Unterschied zwischen
einem »Kenner« und einer »Menge« verlegen wäre. Ein jeder,
der das Buch eines tadelnswerthen Autors zu besprechen
hat, weiss, dass man diesem nicht ein gewisses Können,
sondern »immerhin eine gewisse Macht« zusprechen kann.

Hier eine der Wirklichkeit nahekommende Stilprobe aus
der Zeit, da die französirende Art des Meisters noch nicht mit
Goetheischen Sprachelementen durchsetzt war. Ueber das
Werk eines Griensteidl-Gastes und seine Aufführung im
»Deutschen Volkstheater« mag er sich etwa geäussert haben:

»Es ist, je öfter man in dieses »Deutsche Volkstheater«
mit den Anführungszeichen um jeden Preis hineingeht, ein
gewaltsamer Aerger, über die Darstellung, über diesen Herrn
Kadelburg mit der Eleganz vom Tapezierer und über dieses
Publicum mit den Ansichten vom Wurstlprater. Man kennt
den Schnitzler. Ich habe, wie ich neulich die Dränge des
jüngsten Oesterreich zeigte, die besondere Art des Schnitzler
gelehrt. Es passt das herbe Wort des heimlichen und ge-
flissentlich komischen Julius Bauer, dort, wo er eigentlich
schon mehr Isidor Fuchs heisst: »Ein kleiner Beamter hat
nichts, aber das hat er sicher.« Er will den Viveur, aber mit
der wienerischen Note, nicht in der Technik der Franzosen,
wie ihn etwa Pierre Blanchard gezeichnet haben würde oder
ein anderer französischer Eigenname, den nur ich kenne,
wenn ich von Ferry Beraton absehen will, der ihn dann aber
auch von mir hat, auch nicht in der Art dieses Herrn Fulda,
der die letzten Wünsche des Banquiers aus der Rauch- und
Thiergartenstrasse in jenen schleimigen und schnodderigen
Weisen des Schunkelwalzers ablauschte.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 22, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-01_n0022.html)