Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 24
Text
Aber man müsste die Formel suchen für die vagen und
wirren Empfindungen um das grosse Unerhörte der Kunst
des Broda.«
In jedem seiner Referate ergoss sich eine Sturzfluth
neuer Eigennamen ins Land. Die Kunstgrössen, die er ein-
führte, waren einzig und allein ihm dem Namen nach be-
kannt; oft hatte er sie von spanischen Theaterzetteln oder
gar portugiesischen Strassentafeln abgelesen. Noch heute
versteht er es, uncontrolirbaren Thatsachen den Schein des
Erlebten zu geben, Dinge, die er gerade anbringen will, tief-
ursächlich zusammenzuhängen. Es ist — um in seinem Stil
mit Goethe zu sprechen — ein ungemeiner Zettelkasten, den
nicht er, sondern der ihn hat.
Als Kritiker hatte er bald die allgemeine Aufmerksam-
keit auf sich gelenkt. Er interessirte. Mochte man auch
nicht immer mit dem Ton einverstanden sein, man sagte
sich doch, da ist Einer, der Klärung bringt, der, auf das
Unverständniss Anderer nicht angewiesen, jederzeit sein
selbstständiges Vorurtheil hat. Der seichte Impressionismus,
dem sich dieser kritische Bummler überliess, berührte an-
heimelnd; der Mangel an Humor, der eine seltene Stand-
punktlosigkeit verkleidete, aber doch discret durchblicken
liess, gefiel, der Tadel, der kein zielbewusster Angriff, sondern
vages Anrempeln war. Man klatschte Beifall, wenn er in
seiner Weise Protest gegen den guten Geschmack erhob
und an das dionysische Bedürfniss des Studenten erinnerte,
Gewölberollläden mit dem Spazierstocke zu streifen. Der-
massen hat er oft sich ausgelebt und die Wachleute der
öffentlichen Literaturordnung geuzt.
Sturm und Drang wurden eines Tages von weimarischer
Vornehmheit abgelöst. Die Zeit der Reife brach für ihn
an, blasirte Behaglichkeit trug seine Worte, und aus den
Weisungen, die er von seiner Höhe an die Jugend des
Landes ergehen liess, sprach »schöne Güte«. Aber sogleich
fasste dieselbe Jugend den Entschluss, ihm nachzureifen, die
jüngsten sprachen von den »jungen Künstlern«, und als eines
Tages das Erstlingswerk eines Neunzehnjährigen erschienen
war, rief ein zwanzigjähriger Gönner aus: »Es ist mir nicht
unlieb, dass die jungen Leute jetzt ein bischen emporkommen!«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 24, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-01_n0024.html)