Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 56
Text
Der Kutscher duselte auf dem Bock, es duselte auch das Pferd.
Serjoscha erinnerte sich der klugen Thiere, die er im Traume gesehen,
jene blickten und wussten, aber diese .
»Wirklich dumm,« wiederholte er.
»Was haben sie Ihnen Böses gethan?« fragte kichernd der
Student.
Serjoscha erschrak vor diesem plötzlichen Lachen, er blickte
bange um sich. Und Alles ringsherum war laut, lärmend und fremd:
die Villa, das grelle Grün, der grelle Sand auf den Wegen, die grellen
Blumen in den Gärten, die aufgeputzten Damen. Und neben der
Pracht dieses Lebens gingen schmutzige, barfüssige Knaben mit gierigen
und schüchternen Augen.
In der Badecabine, als Serjoscha vom kalten Wasser frei und
fröhlich gestimmt ward, erinnerte er sich wieder, dass die Menschen
sich schämen, und dass man in die freie Weite nicht hinaus schwimmen
darf. Und er verstand nicht, warum er sich schämen sollte, wenn er
sich hier so frei und wohl fühlte in diesem Wasser, welches kalt und
ruhig war und ihn umarmt hielt. Dort aber auf der Erde, wenn er sich
anzog, würde er wieder klein sein und lächerlich, während er hier so
einfach und leicht war. Mit Händen und Füssen schlug er auf das
hoch emporspritzende Wasser und quickste vor Freude. Eine kecke
Lustigkeit ergriff ihn und auch ein feindseliges Gefühl darüber, dass es hier
in der Cabine so eng war und dass er unaufhörlich bald mit den
Händen, bald mit den Füssen an die Wände stiess. Er presste die
Zähne zusammen, quitschte gellend auf, tauchte unter und gelangte leicht
ins Freie. Es war hell, frei, kalt und lustig. Daneben stand eine
andere Cabine; man hörte Mädchenstimmen und Rufe heraus. Mit einem
fröhlichen, lauten Ausruf schwamm Serjoscha in diese Cabine.
Als die Mädchen einen Knaben bei sich erblickten, begannen sie,
es waren ihrer fünf, zu schreien und zu quitschen und unsinnig im
Wasser herumzuschlagen, indem sie vor Serjoscha flohen und ihn
mit Wasser bespritzten. Eine davon, die Kühnste, ein grösseres Mädel,
blickte Serjoscha aufmerksamer an und rief dann zornig und gering-
schätzig:
»Diese Frechheit! Ein ganz kleiner Bub!«
Sie schwamm zu ihm hin, wahrscheinlich mit feindlichen Ab-
sichten. Serjoscha beeilte sich, in seine Cabine zurückzukommen.
(Schluss folgt.)
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 56, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-02_n0056.html)