Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 74
Text
Tand ist es, wenn er nicht in lieber häuslicher Stube mit ihr
darüber Gedanken tauschen kann, mit ihr, die eine Sonnen-
mission zu erfüllen hat, mit ihr, der Edlen, Wunderbaren,
der Königin — mit dem Weibe.
In der Welt, wie sie Peter Altenberg sieht, herrscht
das Weib. Als strahlende Königin gebietet sie auf blinkendem
Thron, mit hellem Purpur angethan, und Peter Altenberg
ist ihr demüthiger Ritter und stolzer Troubadour, der ihr
festliche Weisen jubelt, bald wild-jauchzende, heisse Dithy-
ramben, und bald sind es leise, zärtlich kosende Klänge, die
wie bleiche Mädchenhände streichen. Und an dem prunkenden
Altar, auf dem er seine duftenden Liederblumen dem Weibe
huldigend opfert, da betet er: »Nicht was ihr seid, seid ihr!
Doch was wir dichten, dichtet ihr in uns! So seid ihr unsere
Dichter, unsere Dichtung, der Lieder Sänger und das Lied
zugleich!«
Königin ist das Weib. Aber eine Königin, vor der man
huldigend das Knie beugt, vor der knien zu dürfen allein
schon Glück und Seligkeit bedeutet, solch eine Königin muss
zu allererst schön sein. Gleich milden und gütigen Sonnen
müssen ihre Augen strahlen, weiss wie Jasmin sollen die
schlanken Hände sein, und jede, auch die leiseste Bewegung
muss von einem stolzen Adel zeugen, der aus Hellas lichten
Fluren stammt. Weib und Schönheit ist eines; so lautet der
erste Satz seines künstlerischen Evangeliums, und der zweite
heisst: Jeder schöne Körper birgt eine königliche Seele. Darum
darf er eine Dirne beim Speisen bedienen wie der Leibjäger
den König, und durch die dumpfe Kammer weht es wie ein
Hauch von Griechenthum, und darum kann er Lisabeta einen
Stiefel nachwerfen. »Warum thaten Sie es?« forscht eine
Socialdemokratin. »Hat sie Grazie?« fragt er bitter zurück
Königin ist das Weib, und darum darf es grausam sein,
und Peter Altenberg bewundert Grausamkeit, so lange sie
Majestät athmet; aber wehe dem Weibe, dessen Locken die
gleissende Krone entglitt. Ein Beispiel: »Liebe Minnie,« bittet
er, »bringen Sie mir doch « — »Bin ich Ihr Dienstbote?!
Sie sind komisch « Die Schwester stellt Minnie wegen
ihrer Hoffärtigkeit zur Rede. »Wann denn soll ich es?!« er-
widert Minnie, »vielleicht wenn ich alt und schiech bin?!«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 74, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-02_n0074.html)