Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 75
Text
Und schaudernd vernimmt er die grossen, tönenden Laute,
die Fanfaren einer Königin des Lebens und fühlt: »Minnie!
Eure königliche Hoheit! Königin Hermine! Königin über
das Leben, König Frühling, König Kraft!« Er schickt ihr
Mandarinen als Geschenk, sie sendet die Schalen zurück, und
er freut sich ihres königlichen Trotzes. — — Nach langer
Zeit schickt er wieder Mandarinen, und sie schreibt einen
demüthigen Dankesbrief. Da ist er entzaubert und fühlt:
»Minnie, Ladenmädchen!« Und antwortet ihr mit brutalem
Hohn: »Sie, Minnchen, Sie Kleine, Dumme, Junge, wissen
Sie, Sie waren eine freche, ungezogene Gans,« und schmerz-
lich-stolz zeichnet er: »ein König«.
Einmal wirft er eine kurze Frage hin: »Gehört die Alm-
wiese dem Hiasl, der sie bewirtschaftet?! Sie gehört dem
Wanderer, der sie empfindet!« Hiasl ist der Gatte, die Alm-
wiese seine Frau und Peter Altenberg der Wanderer, der
sie empfindet. Monsieur le mari spielt bei ihm nicht gerade
eine dankbare Rolle. Seine Ehemänner gleichen ein bischen
den Museumsdienern, die gar streng darüber wachen, dass
keine frevle Hand die schimmernden Schätze berühre, die
man ihrer Obhut anvertraut; aber dem Künstler, der die Säle
durchwandert, können sie es doch nicht wehren, all die frohe
Schönheit lechzend in seine Seele zu trinken, während sie
selbst, die pflichtgetreuen Beamten, mürrisch und verdriess-
lich in der Ecke hockend, an der glitzernden und leuchtenden
Pracht vorbei gedankenlos in die Luft starren.
Freilich, auch die Frauen Altenberg’s haben trotz ihrer
Vollkommenheit einen Fehler, aber sie theilen ihn mit allen
Geisteskindern stark subjectiver Väter — sie gleichen einander
allzu sehr, denn wie überall sucht Peter Altenberg auch bei
den Frauen sein Ich. Aber trotz dieser ausgeprägten Sub-
jectivität hat Peter Altenberg sich doch ein helles Auge
bewahrt, das zu erspähen, was nicht sein Ich ist, und darum
hat er manch tiefen verstehenden Blick gethan in jenen
lockenden, unergründlichen Abgrund, den wir Frauenseele
heissen, und Laura Marholm wird den bleichen, nervösen
Modernen in einer neuen Auflage ihres Buches »Wir Frauen
und unsere Dichter« wohl nicht gut auslassen können.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 75, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-02_n0075.html)