Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 76
Text
Anbetung des Weibes ist das Thema des Altenberg-
schen Buches; in der Art aber, wie er’s behandelt und aus-
spinnt, kurz, in seiner Technik zeigt sich das Studium der
japanischen Maler, von denen er ja oft genug spricht und
deren Farben und Linien er in Worte umsetzt. Mit ihnen
theilt er die Scheu vor allem Componirten, auf Rahmen- und
Bildwirkung Berechneten, die Angst, dem Verstehenden zu
viel zu sagen und dadurch sein Feingefühl zu beleidigen;
von den Japanern hat Altenberg gelernt, in der knappsten
und präcisesten Form sich auszudrücken, die Dinge vom
Geist der Schwere zu befreien und nur den Duft, den süssen,
schönen Duft zu bringen. Diese japanische Art zu compo-
niren oder besser nicht zu componiren, tritt zu allererst
in der Gesammtanlage jeder Skizze hervor und innerhalb
jeder einzelnen wieder besonders bei den Naturschilde-
rungen. Denn sein Anschauen einer Landschaft ist das
der grossen japanischen Künstler. Niemals verliert sich
sein Schildern ins Detail, mit sicherem, scharfäugigem
Blick fühlt er das Wesentliche, das der Landschaft und der
Stimmung der Handlung zugleich Charakteristische heraus; nur
dies bringt er von all den zahllosen Eindrücken, die in jeder Se-
cunde das Auge bestürmen, nur dies bringt er und deutet alles
Uebrige in matten Strichen nur oder überhaupt nicht an.
Hier nun, in dieser japanischen Art, die Dinge anzuschauen,
trifft er sich mit Knut Hamsun, dem grossen norwegischen
Künstler, den man wohl in mehr als einer Hinsicht als Geistes-
verwandten Altenberg’s wird bezeichnen dürfen. Zu weit
würde es mich führen, wollte ich an dieser Stelle eine ein-
gehende Analyse der Landschaftsschilderungen Hamsun’s
und Altenberg’s bieten; aber man vergleiche einmal die
wundervollen Naturstimmungen in Hamsun’s »Pan« oder be-
sonders den Anfang seines Romans »Neue Erde« mit irgend
einer Skizze Altenberg’s, und man wird mich verstehen und
vielleicht mir beistimmen.
Damit aber ist die Reihe dessen, was ihm gemeinsam
ist mit Knut Hamsun, noch nicht erschöpft. Altenberg’s
sclavisch-demüthige und doch dabei königlich-vornehme Art,
vor schönen Frauen zu knien, an Hamsun’s Helden finden
wir sie wieder, an Lieutenant Thomas Glahn und an Nils
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 76, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-02_n0076.html)