Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 101

Zu den Sternen (Ssologub, Fjodor)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 101

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ZU DEN STERNEN. 101

sich, und die Schwärze seiner Augäpfel schien durch die Nähe seines
blassen, von der Sonne wenig berührten Gesichtes nur noch tiefer zu sein.

III.

Jemand berührte Serjoschas Schulter. Aergerlich schwang Serjoscha
die Beine und drehte sich um. Vor ihm stand Constantin Osypitsch.
Das blatternarbige, stumpfnasige, von einem kleinen, weichen, rothen
Bärtchen bewachsene Gesicht des Studenten war wichtig verzogen, was
ihm gar nicht stand und einen lächerlichen Eindruck machte. Serjoscha
sah sofort, der Student wollte etwas von ihm, und es ward ihm
ganz bange und furchtsam zu Muthe. Er lag unbeweglich, mit aus-
gestreckten Armen da und schmiegte sich mit dem ganzen Körper
enge an das Bett. Die schwarzen Augen in seinem blassen Gesichte
loderten, sie waren trocken und böse.

Der Student stand eine Weile vor dem Knaben, blickte ihn
strenge an und sagte:

»Erstens, darf man bei Tag nicht herumliegen.«

Serjoscha setzte sich schweigend auf das Bett; dann erhob er
sich sogar. Er blickte von unten zu dem Studenten auf und reckte
seinen Kopf dabei hoch empor. Er dachte an nichts. Der Student zwang
sein Gesicht in noch strengere Falten, suchte nach Worten und fing dann an:

»Sie haben Verschiedenes hm geplauscht «

»Geplauscht,« bestätigte Serjoscha ganz mechanisch und begann die
grossen, knochigen, blauaderigen Hände des Studenten intensiv zu betrachten.

»Unterbrechen Sie nicht,« sagte der Student böse. »Sie haben
doch dem Fräulein Frechheiten gesagt und der Mama auch.
Und so kommt es eben heraus Sie haben das, wissen
Sie, ganz ungerechtfertigt gethan. Na, frech sein, das ist — nicht
ganz mit einem Worte, es geht nicht.« Der Student machte eine
energische Bewegung, als wenn er etwas mit der Hand rasch und
kräftig durch eine schmale Ritze stossen wollte. Es ärgerte Serjoscha,
dass jener so lange und so ungeschickt sprach.

»Muss man um Verzeihung bitten?« fragte Serjoscha.

»Natürlich! Das ist es ja,« erfreute sich der Student. »Sie müssen
einen Kratzfuss machen und die Hände küssen.«

»Meinetwegen auch die Füsse, mir ist das gleich,« sagte düster der Knabe.

»Na, das wäre wohl überflüssig.«

»Und prügeln wird man nicht?« erkundigte sich Serjoscha in
geschäftigem Tone. Der Student grinste, als wenn er etwas Theueres
und Angenehmes gehört hätte.

»Wird man nicht,« antwortete er, »es wäre aber gut.«

Er verspürte Lust, dem Knaben Furcht einzujagen, doch hatte
er nicht den Muth dazu; die schwarzen und bösen Augen Serjoschas
schüchterten ihn ein, seine Worte und Thaten schienen ihm unberechenbar.

Der Knabe stand noch eine Weile da, dachte an etwas Dunkles,
und Fremdes und ging dann nachlässigen Schrittes ins Gastzimmer.

(Schluss folgt.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 101, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-03_n0101.html)