Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 103

Wiener Walzer Das innere Schweigen (Dehmel, RichardChristomanos, Constantin)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 103

Text

GEDICHTE. 103

spür’ ein Kindchen unterm Herzen,
und ist nit von deinem Blut.
Sanfter, du! mich quält die Hitze;
oh du, mein geliebter Thor,
heb mal deine Kinnbartspitze,
sanft — so — kitzel mich ins Ohr!

Ihr schwarzes Haar erschauert ganz,
zwei Menschen wiegen sich im Tanz.

Berlin. Richard Dehmel.


DAS INNERE SCHWEIGEN.
Aus: »ΟΡΦΙΚΑ — Musikalische Verse.«*)

Wann sah ich jenen bleichen See,
der ewig schwieg ,
in fliehender Ferne,
unter des Mondes modernden Schleiern? — —
und die Weiden,
die leidohnmächtig sich neigten
über die Ufer ,
und ihre traurigen Träume verschwiegen? — — —

Wann sah ich den See und die Weiden? —
wann sah ich den See und die Weiden

Immer jenes bleiche Schweigen
in mir hören ,
und das Herz voll der verschwiegenen Träume
trauriger Bäume:
und mein Herz voll traurig schweigender Träume

Wien. Constantin Christomanos.


*) Zur Kennzeichnung der Intentionen des griechischen Dichters sei fol-
gender Passus aus einem Brief an uns citirt: »Ich versuche hier den Reim durch
musikalischen Rhythmus zu ersetzen — durch den Rhythmus einer Zeit, da Dich-
tung und Musik noch Eins waren, und dessen Empfinden ich vielleicht von
jenem Volke geerbt habe, das seine Gesänge von den Wellen des Meeres er-
lernte.«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 103, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-03_n0103.html)