Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 118

Die demolirte Literatur (Kraus, Karl)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 118

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118 KRAUS.

sinnig, und oft ist er durch das Lob, das Andere ernten,
recht übermüthig geworden. Mit seinen literarischen Collegen
hat auch er von Goethe manche Anregung erfahren:

Er ging ins Kaffeehaus so für sich hin,
Um nichts zu nehmen, war sein Sinn.

Dabei ist er der fleissigste Stammgast. Die Marqueure
haben sich an diesen Zustand gewöhnt. Anfangs musste er
wohl, wenn die Andern bestellt hatten, stets wiederholen: »Mir
bringen Sie nichts«; jetzt ist Heinrich schon eingeweiht und
sagt immer gleich von selbst: »Herr Doctor — wie gewöhn-
lich.« Nur selten kommt es vor, dass Heinrich in seiner fein-
sinnigen Weise in den Bart brummt: »Zum Anregungenholen
allein ist das Kaffeehaus nicht da«, aber sonst kann unser
Gast mit der Bedienung zufrieden sein; er müsste sich be-
klagen, wenn sie zu aufmerksam wäre. Man hilft ihm nicht
von seinem Hut und schweren Winterrock, und lässt ihn
stundenlang Vorträge über die Bedeutung der ihm Zu-
hörenden halten. So steht er da, Begeisterung schlürfend,
heftig gesticulirend: er wäre ein grosser Schmock geworden,
auch wenn er ohne Hände auf die Welt gekommen wäre.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 118, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-03_n0118.html)