Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 117

Die demolirte Literatur (Kraus, Karl)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 117

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DIE DEMOLIRTE LITERATUR. 117

Und nun von ihm, der an dieser Stelle eine unerwartete
Bevorzugung erfahren, hinweg zu andern Tischgenossen,
die schon warten und sich über Parteilichkeit der Bedienung
beklagen. Der bleiche Dichter des athenischen Cassenstückes
ist bereits ungeduldig, wiewohl er zu gereift ist, um sich
noch über irgend etwas aufregen zu können. Er, der weder
radfahren noch kegelschieben kann, mithin dem Director
der Hofbühne die Entdeckung seines Talentes erheblich er-
schwerte, hat sich doch im Burgtheater festzusetzen gewusst.
Dies soll daher kommen, weil sein Werk eine höchst glück-
liche Verbindung missverstandenen griechischen und nicht
erfassten modernen Geistes bedeutet. Für das Wiener-
thum seiner Umgebung bringt er eine unsäglich buko-
winerische Note mit, die sich insbesondere darin kundgibt,
dass er den x-füssigen Jambus mit grosser Geschicklichkeit
anwendet. Sein Stück erweckt den Eindruck, als ob es über
Aufforderung Büchmann’s geschrieben wäre. Es enthält eine
Reihe überaus mühsam geflügelter Worte, in der Art: »Die
Sehnsucht nach dem Glück ist mehr als Glück«, oder: »Wie
wenig kennt das Volk doch seine Geister!«. Und über dem
Ganzen liegt es wie ein Hauch von Gindely, aber vom
kleinen. — Der Ruf eines Grillparzer-Epigonen schmeichelt ihm
so sehr, dass er, um mit seinem Vorbilde wenigstens etwas
gemeinsam zu haben, beabsichtigen soll, sich jetzt um eine
Staatsbeamtenstelle zu bewerben und auch fürder in Allem
sich streng nach des Dichters Biographie zu richten.
Wenn er schon aus der alt-österreichischen Tradition nicht
herausgewachsen ist, entgehen lassen will er sich sie keines-
falls. Möge es ihm nach den Aufregungen und Strapazen
der Première nun auch gegönnt sein, in Ruhe zu erleben,
was er in seinem Stücke gedichtet hat!

Wer ist jener lebhafte Jüngling, der eben an die Herren
des Kreises mit Fragen aller Art herantritt? Eine der selt-
samsten Erscheinungen der Kaffeehauswelt, hat er sich da-
durch, dass man ihn noch niemals sitzen sah, zu einer stehenden
Figur des Griensteidl herausgebildet. Er hängt insofern mit
der Literatur zusammen, als ihm die Aufgabe obliegt, des
Nachts die Dichter nach Hause zu begleiten. Hat einer der
Herren einen Erfolg aufzuweisen, so wird Er grössenwahn-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 117, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-03_n0117.html)