Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 116

Die demolirte Literatur (Kraus, Karl)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 116

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116 KRAUS.

gelangt zu einem ganz unerwarteten Resultate, wenn er
schliesslich von Leuten spricht, die Einem begegnen, und so
durch ein Versehen das Richtige findet. Anlässlich des
Sonnenthal-Jubiläums im Vorjahre hat er, der Bedeutung des
Gefeierten entsprechend, mehrere falsche Casusse gebracht.
Er erzählte damals, »die vierzig Jahre, die der Künstler dem
Burgtheater treulich gedient«, hätten »ihm zum Repräsen-
tanten dieser geliebten Bühne gemacht«, man habe Sonnenthal
»zu verstehen geben wollen, dass man ihm noch immer gerne
in seinen jugendlichen Rollen zu sehen wünsche«, — woran
er die allgemeine Bemerkung knüpfte, der Schauspieler
müsse seine Rolle leben, er müsse »in sie aufgehen«. Wo es
die Besprechung von dramatischen Anfängern galt, zeigte
er sich stets nachsichtig; ein Tadel, erklärte er, würde »Einem
nur au niveau mit dem Dilettanten setzen«. Als die Zeitung,
bei der er thätig ist, einst die telegraphische Nachricht
brachte, »die serbisch-montenegrinische Verbindung mitsammt
des daranhängenden Heirathsgedankens« stehe in Frage,
liess man sich damals vielfach zu der Meinung verleiten,
dass er auch die Depeschen einrichte, was einer entschie-
denen Ueberschätzung seines Wirkungskreises gleichkam,
da das Ressort unseres Freundes ausschliesslich die Ver-
wechslung des Dativs mit dem Accusativ, nie mit dem Ge-
nitiv, und auch diese nur im Theater- und Kunsttheile,
umfasst.

Kein Mensch wird ernstlich behaupten, dass solche und
ähnliche grammatikalische Eigenheiten einem in der litera-
rischen Carrière behindern können. Vollends durch die Prä-
tention, mit die er seine Seichtigkeiten vorbringt, vermag
ein Schriftsteller jederzeit auf dem Leser zu wirken.

Was nun über den literarischen Rahmen hinausreicht,
geht niemandem etwas an. Einige wollen sich zu den von
ihm vertretenen Ansichten nicht bekennen; dafür gibt es
wieder zahlreiche, die — gläubiger sind. Dies bestärkt ihn
in seiner Zuversicht und gibt ihm Muth zu neuen Thaten.
Die Bühnerfolge seiner Freunde haben ihn berauscht, jetzt
heisst das Ziel seines ganzen Strebens: Aufgeführtwerden!,
und schon sehen wir ihn einen kurzen Seitenweg hinter die
Coulissen des Burgtheaters einschlagen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 116, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-03_n0116.html)