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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 125

Text

DER BOBOK. 125

»Euer Excellenz, das geht einfach nicht, Herr! Sie haben Coeur
angesagt, ich adoutire, und nun haben Sie plötzlich sieben Carreaux.
Man hätte früher wegen der Carreaux übereinkommen müssen.«

»Was soll denn das Auswendigwissen beim Spiel, wo bleibt dann
der Reiz?«

»Das geht nicht, Excellenz, ohne Garantie zu spielen geht durchaus
nicht. Es ist unbedingt ein Strohmann nöthig und eine blinde Karte.«

»Nun, einen Strohmann bekommen wir hier nicht.«

Was waren das für hochfahrende Worte! Seltsam war’s und
unerwartet. Die eine Stimme klang behäbig und compact, die zweite
gleichsam weich und süsslich. Ich würde es nicht glauben, wenn
ich es nicht selbst gehört hätte. Was ist hier für eine Partie Préférence
im Zuge, und was ist’s für ein General? Dass dies unter den Grab-
hügeln hervorklang, daran war kein Zweifel. Ich beugte mich vor und
las die Aufschrift des Grabmals:

»Hier ruht die Hülle des Generalmajors Kerwojedow, Ritters
dieser und dieser Orden.« Hm. »Er verschied im August dieses Jahres
im 54. Lebensjahre Ruhe sanft, theure Asche, bis zum freudigen
Erwachen! «

Hm, Teufel, in der That ein General! Auf dem zweiten Hügel,
von dem die schmeichelnde Stimme herdrang, befand sich noch kein
Denkmal. Es war nur ein Täfelchen, da — es musste ein Neu-
angekommener sein. Der Stimme nach war’s ein Hofrath.

»Och, cho, cho, cho!« hörte man nun, etwa fünf Klafter weit
vom Generalsplatz entfernt und schon unter einem ganz frischen Hügel
hervor eine neue, ehrfürchtig-innig abgeschwächte Stimme, die Stimme
eines gemeinen Mannes.

»Och, cho, cho, cho!«

»Ach, er fängt schon wieder an!« erscholl plötzlich die capriciöse
Stimme einer aufgeregten, offenbar der grossen Welt, entstammenden
Dame. »Eine wahre Strafe für mich, neben dem Krämer zu liegen!«

»Ja warum haben Sie sich hergelegt?«

»Die Gattin und die Kinderchen haben mich hergelegt, nicht ich
selbst habe mich hier hergebettet! Des Todes Geheimniss! Auch möchte
ich mich nicht neben Sie hinlegen, nicht um Alles in der Welt, nicht
um alle Schätze. Auch liege ich für mein eigenes Capital hier, dem
Preise nach zu urtheilen, denn das können wir uns schon gestatten,
dass man uns in ein eigenes Grab der dritten Kategorie lege.«

»Zusammengescharrt, die Leute übervortheilt?«

»Womit kann ich Sie übervortheilen, wenn seit Jänner ge-
rechnet keine einzige Zahlung von Ihnen bei uns eingegangen ist. Ihre
Rechnung liegt bei uns im Laden.«

»Na, hier Schulden einzufordern, das ist doch wirklich dumm.
Steigt doch hinauf, fragt bei meiner Nichte an, die ist die Erbin.«

»Ja, wo fragst du jetzt und wo gehst du jetzt hin? Wir haben
beide unsere Grenze erreicht und sind einander vor Gottes Gericht in
Sünden gleich.«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 125, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0125.html)