Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 129

Traum (Hirschfeld, Georg)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 129

Text

TRAUM. 129

‚Weiss es nicht, der weiss es oben,
Wag’ den Blick, denn wir sind da
Sei geheiligt und geniesse.‘

Und ich fühlte es sich weiten,
Pfadlos ew’ge Ewigkeiten,
Und es drängte sich mein Ahnen
Aufwärts, immer neue Bahnen — —
Wonnevolles Gottessuchen
Und ein Wunsch aus meinem Munde
Wagt sich vor den Weltberather,
Reinbewusst der Feierstunde
Fühlt’ ich mich als Kind dem Vater.

»Bin ein Mensch, o neig’ dich nieder,
Mensch zu sein ist deine Ehre,
Doch wir brauchen eine Lehre,
Sende einen Christus wieder.
Herrlich und zerrissen ist der Menschengeist,
Tausend deiner Räthsel hat er schon ergründet,
Doch vor allen Schätzen, die er blutend findet,
Flieht die Liebe, die ihn in die Kindheit weist.«

Strahlende Reihen
Höchsten Ortes,
Ferne Schalmeien
Fernen Wortes:

»»Kind Christus sandt’ ich eurer Kindheit,
Kinderaugen sind Führer der Blindheit —
Den Weg der Lehre habt ihr verloren,
Mann Christus werde in euch geboren.
Einsamer Drang muss einsam es ergründen,
Ein Jeder in sich selbst Erlösung finden —
Die sündige Reife nun zu reinen,
Sind alle Kreuze nöthig statt des einen.««

Nebel schieben sich zu Füssen,
Duftig graues Silberfliessen,
Schweigen, Dunkeln, Niederschweben,
Schaudernd fühl’ ich neues Leben,
Breite meine Arme aus.
Nebel werden Wetterwolken,
Sterne zucken schwach heraus.
Und ich steh’ in meinem Lande,
In dem alten Erdenbande,
Kalte, weisse Winternacht.
Endlos breitet sich der Boden

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 129, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0129.html)