Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 133

Zu den Sternen (Ssologub, Fjodor)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 133

Text

ZU DEN STERNEN. 133

»Und haben Sie bemerkt,« sprach die Mama mit unaufrichtiger,
gequälter Stimme, »wie feindselig er um Verzeihung bat?«

»Wem ist er eigentlich so böse nachgerathen?« fragte die Cousine.

»Nerven,« brummte der Vater, »man behandelt den Buben wie
ein Mädel, deshalb ist er nervös geworden.«

»Ach was — Nerven!« sagte plötzlich roh und laut die Tante,
»Ihr habt den Jungen einfach verwöhnt. Streng muss man sein!«

»Wie, noch strenger?« antwortete der Vater brüsk. »Soll man
ihn vielleicht schlagen, was?«

»Natürlich, es möchte gar nicht schaden, das wäre für ihn sogar
sehr nützlich.«

»Das geht nicht,« sagte der Vater entschlossen und missmuthig,
nicht weil er so dachte, sondern weil er ein derartiges Gespräch mit
Damen für unanständig hielt und sich dabei der rohen Worte schämte.

»Ja, warum denn nicht?« widersprach die Tante. »Hast du viel-
leicht Angst, dass er auseinanderfällt?«

»Aber ich verstehe solche Redereien einfach nicht,« sagte der
Vater aufgeregt, indem er sofort den Ton änderte und von was
Anderem sprach, um dieses ihm unangenehme Thema zu verlassen. »Ja,
ich hätte fast vergessen, ich bin heute Abend bei Leonid Pawlowitsch «

Serjoscha ging rasch von der Thüre fort und war bestrebt, keinen
Lärm zu machen. Er ging in den Garten.

Als er bei der Küche vorbeikam, hörte er, wie Barbara dort der
Köchin lachend erzählte:

»Und unser Knirps hat das Fräulein fein abgeführt.«

Und sie erzählte, was Serjoscha gesagt hatte, und fügte Manches
hinzu, und wiederholte Falsches, und sie lachten laut und gemein. Ser-
joscha ging weiter. Er fühlte einen dumpfen Groll in sich. »Ueberall lachen
sie,« dachte er, »die Menschen können nichts Anderes, als übereinan-
der lachen.« Er hob den Kopf gegen den Himmel, der von einer weiss-
lichen Bläue überzogen war. Bange senkte Serjoscha das Haupt und
schlenderte faul durch den Garten.

Ganz am Ende des sandigen Weges sass ein kleiner magerer
Frosch. Er ekelte Serjoscha an. Ein lustiger Knabengedanke kam ihm
plötzlich in den Sinn. Freudig leuchteten seine schwarzen Augen. Er
bückte sich und hob den Frosch auf. Er war schlüpfrig, glatt, und es war
Serjoscha sehr unangenehm, ihn in der Hand zu halten. Dieses Gefühl
des eklig Schlüpfrigen floss durch seinen ganzen Körper und kitzelte
ihn im Halse. Ungeduldig, vor Eile stolpernd, lief er ins Gastzimmer.
Der Vater war nicht mehr dort, aber die Andern sassen noch auf
ihren Plätzen. Alle Drei blickten Serjoscha verächtlich lächelnd an.
Er aber ging geradeaus auf die Cousine zu.

»Schauen Sie mal,« sagte er, »was für einen schönen Frosch ich
gefangen habe«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 133, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0133.html)