Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 134

Zu den Sternen (Ssologub, Fjodor)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 134

Text

134 SSOLOGUB.

Und er legte den Frosch auf die Knie der Cousine. Diese schrie
verzweifelt auf und sprang von ihrem Sitze.

»Ein Frosch, ein Frosch!« schrie sie und schlug wie wahnsinnig mit
den Händen um sich.

Alle sprangen verwirrt empor, Serjoscha aber stand da und blickte
auf die Cousine, welche schrie und hysterisch weinte. Es schien Ser-
joscha, dass sie sich verstellte, und er schämte sich ihretwegen.

»Er ist doch unschädlich,« sagte er, »und er beisst doch nicht.«

Als er aber sah, dass man ihm nicht zuhörte, drehte er sich leise
um und ging aus dem Zimmer. Man hielt ihn nicht auf, weil das Fräulein
einen Anfall hatte und Mama und die Tante ihr das Schnürleibchen
aufmachten und ihr Wasser mit Tropfen zu trinken gaben.

Serjoscha wusste genau, dass man ihn jetzt bestrafen werde, aber
es war ihm ganz egal.

In seinem Zimmer setzte er sich auf das Fensterbrett und blickte
mit den bösen, schwarzen Augen in den Garten. Die Bäume mit ihren
langen Zweigen waren grell-grün, die Spatzen sprangen herum, die
Sonne warf scharfe Schatten auf die Erde, und der gelbe Sand glitzerte
blendend. Alles war roh und Alles ärgerte Serjoscha — sein Herz
schmerzte ihn, und er fühlte das genau so deutlich, wie man einen
Schmerz im Fusse oder in der Hand spürt. Seinen Hass weckte und
stachelte es; er stellte sich vor, was man mit ihm machen, wie man
ihn schimpfen und beschämen und dann mit der Prügelei beginnen
werde. Klein, wie er ist, findet er auf Barbaras Schosse dann Platz,
sein Kopf hängt herunter und die Hände breiten sich hilflos auseinander.

Doch liess man Serjoscha heut in Ruhe. Die Mama wurde
von einer vornehmen, reichen Dame besucht und hatte darüber
eine ausserordentliche Freude. Die Dame war sehr liebenswürdig,
sehr theilnehmend, man erzählte ihr von Serjoscha, worauf sie den
Wunsch äusserte, ihn zu sehen. Serjoscha machte den vorgeschriebenen
Kratzfuss, küsste ihr die Hand und blickte sie aufmerksam und feind-
selig an. Es kam ihm vor, dass sie gross, roh und dunkel war und in
ihren pompösen, rauschenden Kleidern unangenehm nach Parfum roch.
Unharmonisch gemengte, scharfe Odeurs strömten von ihr, und auf ihrem
Gesicht lag etwas Fremdes, Poudre oder Schminke. Die Dame wollte den
Knaben anlächeln, der so klein war, doch riefen seine schwarzen, auf-
merksamen Augen eine dunkle Unruhe in ihr hervor.

»Lassen Sie ihn in Ruhe.« sagte sie zu Serjoschas Mutter, »ja,
lassen Sie ihn in Ruhe. Er soll spielen. Er muss wachsen. Alles kommt
daher, weil er für sein Alter zu klein ist.«

Und man liess Serjoscha in Ruhe, überliess ihn seiner dumpfen
Erregung, die ihn unaufhörlich quälte, wie wenn die Sterne gestern ihn
vergiftet hätten. Ungeduldig erwartete er den Abend, wo dieser helle
und schwere Vorhang, mit dem die Sonne die Sterne verdeckt, wieder
fällt. Und der Abend kam.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 134, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0134.html)