Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 136

Zu den Sternen (Ssologub, Fjodor)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 136

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136 SSOLOGUB.

wie scharfe, unangenehme Zuckungen fühlte. Er betrachtete die
Sterne, um sein Herz so zu betäuben, das eine Zeitlang nicht schlug,
doch nachher plötzlich wieder zu hämmern, zu schmerzen begann. Als
es dann endlich zur Ruhe kam und nur noch leise in der Brust vibrirte,
wurde Serjoscha bange und bebend-süss zu Muthe, und ein früher nie
gekanntes Entzücken zwang ihn, die Zähne stark zusammenzupressen,
verschob seine blassen Lippen mit einem krankhaften Lächeln.

All diese Gefühle hinderten ihn, sich in die Sterne zu versenken,
ausserdem stürzten ganze Schwärme unsinniger und unbedeutender Er-
innerungen über ihn. Sie waren höchst langweilig, Serjoscha suchte sich
ihrer zu entledigen, allein er konnte es nicht.

Da steht die Cousine vor dem Spiegel, mit einer weissen Puder-
quaste in der Hand und athmet neidisch. Der Vater hält eine Cigarre
im Mund, von der sich ein bläulicher Rauch löst. Dann sieht er die
Strasse, die Villen, die rothen Feuer in den Fenstern, und vom Bahn-
hof fahren unendliche Reihen von Droschken, auf denen lauter grau-
gekleidete Herren sitzen. Serjoscha steht am Dampfschiff-Quai, von den
Sternen will er erzählen, aber Alle lachen ihn aus

Ein stechender Schmerz in der Brust durchdrang des Knaben
ganzen Körper. Verschwommene, graue Schatten huschten an seinen
Augen vorbei — etwas Schreckliches und Gesichtsloses strich hinter den
Sträuchern blitzschnell vorüber. Langsam, an allen Gliedern zitternd,
erhob sich Serjoscha von der Bank Ein dünnes Spinngewebe be-
rührte seine Wange Blass stand er da und blickte mit den schwarzen
Augen in die Leere der Nacht Alles war still, war ruhig. Serjoscha
wandte sich gegen das Haus — seine schweigsamen, aufmerksamen
Fenster schimmerten in der Ferne hinter den Sträuchern, und Serjoscha
fühlte, dass es schrecklich sei, dorthin zu müssen, ja nur hinzuschauen.
Er kehrte sich von diesem Hause ab und legte sich von Neuem auf
die Bank.

Nun ward ihm wohl zu Muthe. Das Herz hielt still, so still, als
sei es nicht mehr in der Brust. Serjoscha lauschte seinem Pochen, allein
es schlug ganz gleichmässig, und nur ein leichtes, aber angenehmes
Kitzeln spürte er irgendwo daneben. Serjoscha dachte nicht weiter an
sein Herz. Alle Erinnerungen wichen plötzlich zurück, nichts hinderte
ihn mehr, den Sternen sich zu überlassen

Und dann auf einmal sah er nichts mehr als die Sterne. Es wurde
ganz still, die Nacht ward dunkler, kam Serjoscha näher, hielt lauschend,
wie er, den Athem an. Doch freudig schwiegen die Sterne, strahlten
und flimmerten nur. Dann ward ihr Leuchten stärker, und sie wirbelten
süss und wonnig, erst langsam, langsam, dann immer schneller und
schneller dahin. Serjoscha blickte von seiner Höhe in ihre grundlose
Tiefe herab, und es erschreckte ihn nicht, dass alle diese Sterne nicht
wie früher weit oben glitzerten und glänzten, sondern tief, tief unter ihm.
Wirbelnd flossen sie in helle Bogen, bis mälig dann ihr Licht zerrann,
als sei ein leichter Schlummer über sie gekommen. Zwischen ihnen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 136, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0136.html)