Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 146

Melchior Lechter (Servaes, Franz)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 146

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146 SERVAES.

Aber ich sagte es schon: er ist kein Pionnier, der Berge durch-
bohrt und Ströme überspringt. Er ist ein stiller, beschaulicher
Architekt, der das vorhandene Steinwerk weise benützt.

Und Eines noch! In seiner Rolle als Zuschauer, fern von den
eigentlichen Geburtskämpfen unserer neuen Kunst, ist es ihm ja
zweifellos geglückt, sich Abgeklärtheit, Drüberstand, Priesterlichkeit zu
erwerben. Aber im Tiefsten und Eigensten der modernen Seele wohnt
er nicht. Daher ist er einer neuen Menschheit zwar ein Zeuge, aber
kein Künder. Er ist ein Magier, der feierlich an ihr vorüberwandelt,
stets in Aengsten, dass ihm sein fleckenloses Gewand einmal beschmutzt
werden könnte. Und er hat in der salbungsvollen Art, wie er segnet
und beschwört, ganz leise etwas Pfäffisches. Pfaffen waren aber noch
stets für unser Tiefstes und Heissestes und Wildestes blind, weil sie
mit süchtigen Blicken den »ewig blauen Himmel« umspannten, der
über der christlichen Lämmerheerde sich wölbt.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 146, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0146.html)