Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 148

Der Fall Miss Vaughan (Panizza, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 148

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148 PANIZZA.

schichte des Satans, sein Fall, seine Anhänger, seine Offen-
barungen, seine Werke, sein Kampf gegen Gott und die Menschen,
Zauberei, Besessenheit, Illuminismus, Magnetismus, Klopfgeister, Tisch-
rücken, Spiriten, Geisterspuk in Kunst und Literatur, dämonische Ver-
bindung. Von A. Lecanu, Doctor der Theologie zu Paris und Mitglied
mehrerer gelehrten Gesellschaften. Aus dem Französischen. Regensburg,
G. K. Manz. 1863.« Aber Herr Manz wusste eben ganz genau, was
man drei Jahre vor der Schlacht bei Königgrätz dem Publicum
bieten dürfe. Das Buch ging famos, es brachte seinem Verleger einen
hübschen Verdienst ein, Herr Manz wurde wegen seiner Rührigkeit
und Besonnenheit von allen Seiten gelobt — denn im Anhang wurden
noch folgende Werke angezeigt: »Die Tyroler ekstatischen Jungfrauen,
Leitsterne in die dunkeln Gebiete der Mystik«, »Der animalische Magne-
tismus in seinem Verhältniss zum Christenthum, nach einer Reihe von
Artikeln der Civiltà cattolica übersetzt.« »Dr. J. von Ringseis, System der
Medicin, ein Versuch zur Reformation und Restauration der medicini-
schen Theorie und Praxis« (das bekannte Werk, in dem nicht nur die
Geschlechtskrankheiten, sondern auch Typhus und Genickstarre als
Folge teuflischer Einwirkung construirt und entsprechende Therapie
vorgeschlagen wurde) und noch manche andere schöne Sachen
aber nach der Schlacht von Königgrätz hätte der sorgfältige und
besonnene Verleger die »Geschichte des Satans, aus dem Französischen«
nicht mehr herausgegeben. Und hier liegt der Vorwurf, den wir dem
Herrn Director Kunzle von der katholischen Abtheilung in Feldkirch
machen. Man muss immer Zeit und Ort — einer Tragödie wie einer
Komödie — sorgfältig erwägen, dies verlangt schon Aristoteles,
und nicht blind für die Vermehrung der Closetpapierfabriken arbeiten.
Zartheit — weil ich von dem Papier rede — Durchsichtigkeit, Glätte
der Ausführung und Biegsamkeit verlangt ein solches Problem und ver-
langen wir von einem Mann, der sich mit solchem Problem beschäftigt.
»Gewiss scheint es manchem Leser eine kühne Idee,« beginnt die oben-
erwähnte, vor Königgrätz erchienene »Geschichte des Satans«, nach-
dem sie auf die bekannten »Schwierigkeiten«, ein solches Werk gerade
in der jetzigen Zeit erscheinen zu lassen, hingewiesen — »gewiss scheint
es manchem Leser eine kühne Idee, ein gewagtes Unternehmen zu sein,
die Geschichte des Satans zu schreiben und dem Publicum anzubieten.
Allein jener verworfene Geist, in welchem der Urgrund des Bösen
sich individualisirt und die erste active Grundwurzel und der Ursprung
alles Lasterhaften sich birgt, bildete zu allen Zeiten einen ernsten
Gegenstand des theologischen Studiums, und zwar mit Recht. Der Rapport,
in welchen sich der Satan von Anfang an mit der Menschheit gesetzt,
der Einschlag, den er in ihr ganzes Wesen, Thun und Treiben genommen,
und die reichen Früchte seiner unermüdeten Thätigkeit nach der irdi-
schen Seite hin liegen zu offen am Tage, als dass die Wissenschaft sich
nicht versucht fühlen sollte, diesen weitläufigen Process in systemati-
sche Form zu bringen. Indem nun solche productive Wirksamkeit von
ihrem ersten Aufkeimen durch alle Stadien des Wachsthums hindurch

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 148, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0148.html)