Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 149

Der Fall Miss Vaughan (Panizza, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 149

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DER FALL MISS VAUGHAN. 149

bis zur letzten sichtbaren Aeusserung — nach Raum und Zeit — ver-
folgt wird, baut sich eben die Geschichte des Satans wie von selbst
auf, und es erschliessen sich so dem staunenden Auge alle jene ge-
heimen Minenadern, welche unheilschwanger durch die verschiedenen
Schichten der menschlichen Gesellschaft sich verzweigen und, wo sie
dem nöthigen Zündstoff begegnen, zum grossen Verderben Einzelner
oder ganzer Völker losbrechen.« (Vorwort, Seite III). Hier sieht man
eine gewisse Eleganz der Sprache, und wer nicht geradezu mit Mole-
schott und Büchner vollgepfropft war, liess sich auf einen Versuch,
an den Teufel zu glauben, in refracta dosi ein. Freilich kommen dann
im Verlauf der »Geschichte« alle möglichen und schwierigen Construc-
tionen vor, ohne die eben ein so tiefsinniges Werk nicht abgefasst
werden kann: nach dem ersten Capitel, »Gründung des satanischen
Reiches«, erscheint im sechsten ausführlicher das »Reich des Satans«,
im siebenten die »Jüdische Magie«, im achten »Der Satan lässt seine
Wuth gegen den Messias los«, im neunten »Der jetzt noch übliche Satans-
cult in nichtchristlichen Ländern«, im elften »Fortgesetzte Verehrung des
Satans im Schoosse des Christenthums«, im 13. »Die Herrschaft des
Satans über die Wissenschaft«; im 14. »Directer Satanscult«, im 15.
»Ansteckung durch den Satanismus: die Waldenser, die Hussiten«, im
16. »Fortgesetzte Ansteckung durch den Satanismus: Savonarola«, im
17. »Die Reformation und der Satanismus: Luther, die Wiedertäufer«,
im 18. Capitel »Dämonische Besessenheit: die Illuminaten und die Auf-
klärung in Bayern, die Freimaurer, Robespierre, der Magnetismus «
u. s. w. u. s. w. Aber, wie gesagt: Manz, der Verleger des Buches, der erst
vergangenen Sommer in Regensburg starb, hinterliess ein enormes Ver-
mögen und bedeutende Kunstschätze; er wusste eben ganz genau, dass
er vor der Schlacht bei Königgrätz verlegte, und er hatte nie nöthig,
bei Bedarf von Closetpapier auf seinen eigenen Verlag zurückzugreifen,
sondern sagte sich: »Leben und Leben lassen«, und bestellte sein Closet-
papier vom Fabrikanten.

Nunmehr zu dem neuen Werke »Die Geheimnisse der Hölle«,
wiederum aus dem Französischen übersetzt: »Le Diable au XIXe siècle«
von Dr. Bataille, Paris 1894, in dem der Teufel durch die Dummheit
eines deutschen Verlegers eine so vernichtende Niederlage erlitt. Das
über 2000 Quartseiten haltende Werk liegt vor mir. Auf dem Um-
schlag zeigt sich auf zeisiggrünem Grund eine elegante Kellnergestalt
in zeisiggrünem Rock, fliegend, ohne Zahltasche, der Vorderkörper
nackt, die Frackflügel hinten und in Form von grossen Fledermaus-
flügeln nach oben geschlagen, die muskulösen nackten Arme vorn über
der Brust gekreuzt, das Gesicht in Bartschnitt und meckender Zahn-
stellung täuschend ähnlich meinem Freund, dem bekannten Farben-
chemiker und Kunstverleger Dr. E. Albert in München, Teint eben-
falls dick Schweinfurtergrün, höhnische Kellnerphysiognomie, unter-
halb des Nabels kolossaler, grünangestrichener Ringelschwanz mit zehn
Widerhaken; das ganze Bild riesengross, aus einer grünen Magnesium-
flamme, deren Beginn 2 Centimeter unter dem Papierrand liegt, her-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 149, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0149.html)