Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 150

Der Fall Miss Vaughan (Panizza, Oscar)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 150

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150 PANIZZA.

vorschiessend; unten, rechts und links, zwei kleine Gruppen Menschen-
kehrichts, Minister, Pfarrer, Bundhois und derlei Zeug, in glotzender
Stellung. Oben in grandiosen Buchstaben: Le Diable (— ich bitte,
Diable für alle Fälle immer gross zu schreiben —) au XIXe siècle, la
Francmaçonnerie luciferienne, magnétisme occulte, la cabale fin de siècle,
le palladisme et tout le satanistne moderne, par le docteur Bataille;
nombreuses gravures. Paris et Lyon 1894.

Zwei Jahre stand dieses Buch unter »Katholischer Theologie« ungestört
in meiner Bibliothek, bis der kostbare Miss Vaughan-Schwindel diesen
Herbst in Trient losging und ich mir den zeisiggrünen Diable etwas
näher anschaute.

Er ist nun zweifellos eine richtige Fortsetzung des Werkes von
Lecanu, welches der selige Manz ins Deutsche übersetzte und
mit dem er ein so schönes Stück Geld verdiente. Die gesammte moderne
Geistescultur von den Enciklopädisten angefangen, Voltaire, die deutsche
Philosophie mit Kant, die englischen Skeptiker mit Hume, sie Alle
erscheinen hier in zeisiggrünem Frack und mit dem bösen Ringel-
schwanz. Besonders auf die Juden hat es der Arge abgesehen. Die
Christen müssen ja, wenn sie den Dingen der Welt auf den Grund
gehen wollen, über die entsetzliche Christusleiche hinwegschreiten und
ihr Gewissen ertödten: aber die Juden, die Christus gekreuzigt, die
überhaupt kein Gewissen mehr haben, sind natürlich ein willkommenes
Fressen für Leo Taxil — ich wollte sagen für den Satan. Und so
erscheint denn von Moses Mendelssohn, dem Verfasser des
»Phädon«, bis herauf zu Börne und Heine — die schöne Henriette
Herz
nicht ausgeschlossen — jeder Jude, der nur irgendwie durch
Gedanken sich ausgezeichnet hat, in dem verdächtigen satanischen
Frack und mit dem giftigen schweinfurtergrünen Teint beladen.

Nun noch einige Worte über den Verfasser des Werkes »Le
Diable au XIX siècle«. Es ist meiner Meinung nach höchst einerlei,
ob eine Miss Diana Vaughan existirt oder nicht, ob eine Amerikanerin,
die vielleicht zeisiggrüne Unterbeinkleider mit Goldtupfen gesprenkelt
trägt, von den Freimaurern weg und zur katholischen Kirche über-
gegangen ist und ob Sophie Walder, die ewig Besessene, durch
ihren jahrelangen Umgang mit dem Satan nun endlich in der Hoffnung
ist und ein schweinfurtergrünes Teufelchen gebären wird oder nicht.
Auch das scheint mir höchst unwichtig zu sein, dass nun zugestanden
wird, der Dr. Bataille, der angebliche Verfasser des zeisiggrünen
Werkes, existire überhaupt nicht, während ein französischer Schiffsarzt,
Dr. Charles Hacks, die beiden Bände mit dem nackiggrünen Zahl-
kellner auf dem Titelblatte (ohne Geldtasche) geschrieben habe. Und
auch die Frage scheint mir unwichtig, wie gerade ein französischer
Schiffsarzt zu der Idee — und den literarischen Kenntnissen — komme,
ein kabbalistisches Werk von über 2000 Seiten zu schreiben, in dem
Kant, Voltaire, Hume, Börne, Heine und die Henriette Herz mit giftig-
grünen Unterbeinkleidern, Wickelschwänzen mit Salamanderstaub be-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 150, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0150.html)