Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 164

Eine Schauspielerin (Reuter, Gabriele)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 164

Text

164 REUTER.

ab und mied jedes Zusammensein, jedes Aussprechen, als sei sie schon
nicht mehr seine Tochter, sondern etwas ihm Fremdes, daran man das
Herz nicht zu fest hängen darf.

Ahnend fühlte sie, was er fürchtete.

Wenn Olga Ridberg an die letzten Tage im Elternhause dachte,
rann ihr noch immer ein Bangen und ein Weh durch die Nerven. Es
war fast nicht zu ertragen gewesen, dieses Mitleiden mit der stummen
Qual eines Menschen, den sie lieb hatte. Wie eine zarte und doch
unerbittliche Geistergewalt drückte es auf ihrer Brust, würgte sie, dass
die Kehle ihr heiss und wund war von ersticktem Weinen. Es er-
schlaffte ihr die freudige Zuversicht, die starke Siegeskraft, welche sie
in den schönen jungen Gliedern, in ihrem klugen Kopfe und ihrem
feurigen Temperament fühlte.

» Aber Papa — so glaube doch an mich!«

Er antwortete nicht. Seine Augen hatten den verstörten Ausdruck
eines Menschen, der etwas sehr Kostbares verloren hat.

»Du kennst mich doch, Papa!«

»Mein Kind — von Deinem Talent bin ich ja überzeugt.«

Wie viel Misstrauen in dem Ton lag — und wie viel Resignation.
Olga biss die Zähne zusammen; das Blut stieg ihr zu Kopf, und ihre
Wangen glühten vor innerem Zorn.

Und dann kam der Abschied.

»Papa, habe doch Muth! Du beleidigst mich. Ich werde auch
als Schauspielerin nicht vergessen, dass ich deine Tochter bin. Verlass
dich nur auf mich.«

Sie lachte fröhlich, weil sie fröhlich sein wollte.

»Ach Kind, ich fordere kein Versprechen. Du weisst ja nicht
Es ist wohl da kaum möglich, so in unserm bürgerlichen Sinne
Was wir ein anständiges Mädchen nennen Es gibt da andere Ge-
setze und andere Sitten «

Er nahm sie an sich und drückte ihren Kopf an seinen Mund
— verzeihend — mit Thränen, die ihr über die Stirn liefen.

Olga ergriff seine Hand und hielt sie fest in ihren beiden. Er
hatte ihr kaum so viel Kraft zugetraut, als sie in diesen Druck legte.
»Papa — ich will! Und nun — Lebewohl! Auf Wiedersehen!«

(Schluss folgt.)


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 164, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-05_n0164.html)