Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 205
Text
tisch, die Blumen, die breite Chaiselongue mit dem weissen Bärenfell,
auf dem sie so manchesmal nach den Anstrengungen der Proben mit
zitternden Gliedern und stürmisch jagendem Blut vergebens zu ruhen
versucht hatte, die Lorbeerkränze und ihre grossen, bunten Widmungs-
schleifen, die Theaterzettel und Photographien an den Wänden. Jedes
einzelne Stück bedeutete den Preis mühevoller Arbeit, war Zeuge
ihrer ernsten und doch freudigen Einsamkeit gewesen. Und nach allen
Erfolgen hatte sie ihr selbstgeschaffenes Heim mit frohem Lächeln be-
grüsst, wie einen guten Kameraden, den man theilnehmen lassen
möchte.
Jetzt sah sie nichts von ihrer Umgebung. Ihr Wesen war wie
zu Eis erstarrt. Lautlos bewegten sich ihre Lippen. Endlich kam es
wie ein Schrei und ein erlösendes Schluchzen aus ihrer Brust: »Vater,
lieber Vater — ich will!«
Lauschend beugte sie sich vor. Und in der Stille der Nacht
vernahm sie Schritte, die sich langsam, zögernd entfernten.
Am nächsten Abend spielte man den Faust. Die Menge strömte
bewegt aus dem Theater. Es war eine herrliche Vorstellung gewesen.
Heller und die Ridberg hatten sich selbst übertroffen.
Sie sollen ja verlobt sein, sagten die Leute. Nun, da ist es frei-
lich kein Wunder, dass die Liebesscenen so bezaubernd innig wurden
— von einer beklemmenden Leidenschaft. Dieses Eine hatte der Rid-
berg noch gefehlt — bis heut’!
»Aber die Stelle vor dem Madonnenbild hat mich am tiefsten
ergriffen,« meinte Excellenz Wabern. »Das war ein Triumph der
Kunst — der trostlose Jammer in dem Ruf:
»Ich bin ach kaum alleine,
Ich wein’ — ich wein’ — ich weine —
Das Herz zerbricht in mir «
Die Gerüchte von Fräulein Ridberg’s Verlobung mussten doch
auf einem Irrthum beruht haben. Man hörte nichts weiter davon.
Hinter den Coulissen wusste man, dass Olga Franz Heller sein Wort
zurückgegeben hatte.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 6, S. 205, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-06_n0205.html)