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Burgtheater. »Die
Wild-
ente.« Schauspiel von Ibsen.
Die Stützen unserer Zustände sind
schwach geworden und vertragen
nicht mehr eine Belastung durch
die Wahrheit. Die Dinge müssen
sich ausleben, um allmählich in sich
zusammenzustürzen. Wollen die
Kinder den kindlichen Respect
nicht verlieren angesichts der Ver-
hältnisse, in welche sie durch die
Eltern sich verstrickt finden, dann
müssen sie vor diesen die Welt
verlassen. Nur so kann der Frevel
aussterben. Wie die Wildente sind
zahllose Menschen angeschossen
und werden ihrer ursprünglichen
Natur untreu. Sie vermögen keinen
Flug mehr zu unternehmen, ihnen
ist nicht mehr zu helfen. Sie
können noch fortvegetiren, aber
nicht mehr voll leben. Was sie in
diesem Zustande erzeugen, wird
schon angeschossen geboren; ihre
Früchte fallen vor der Reife ab. —
Diese Idee sammt ihren Gedanken-
trabanten hat Ibsen mit seiner
meisterlichen Kunst auf entspre-
chende Personen instrumentirt und
für ihre Verkörperung auf der
Bühne die schwierigsten Aufgaben
gestellt. Es genügen hiefür nicht
mehr Schauspieler von moderner
Innerlichkeit, diese Dichtung ver-
langt geradezu — sociale Schau-
spieler. Solche, die nicht bloss
aus den bisherigen Generationen
schöpfen, sondern schon die
künftigen anticipiren. Während bei
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Aufführung älterer Stücke erfahrene
Theaterleute stets klagen, dass
man früher besser Komödie gespielt
habe, werden die jetzigen Theater-
besucher in ihren älteren Tagen
äussern, dass man Ibsen immer
besser spiele. Herr Mitterwurzer
hat die Rolle des Hjalmar genau
so festgehalten wie vor Jahren im
Deutschen Volkstheater. Damals
war er der beste Ibsen-Spieler.
Heute ist er schon von der Sand-
rock überholt. Sie hat die Gina mit
verwegener Treffsicherheit auf solch
künstlerische Höhe gebracht, dass
es lange dauern wird, bis ihr ein
Mitspieler dahin nachkommt. Durch
sie hat die weibliche Gutmüthig-
keit auf dem Untergrunde unbe-
wusster Gemeinheit die Zeitpunze
erhalten. Adele Sandrock ent-
wickelt sich zur socialen Schau-
spielerin als erste, die wir von
dieser Darstellungsweise haben.
Herrn Reimers würde man ver-
zeihen, wenn er sich nur für Ibsen-
Gestalten nicht eignete. Das kann
man nicht von jedem Schauspieler
verlangen. Er hat die Rolle des
jungen Werle schon in der Maske
vergriffen — von allem Anderen
zu schweigen. Ein so weltabge-
kehrter Phantast, wie ihn der
Dichter zeichnet, setzt einen Ehr-
geiz darein, sich schon in Haar-
tracht und Kleidung als Narren
zu geben. Fräulein Medelsky,
eine eben absolvirte Conservato-
ristin, welcher die Hedwig von
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