Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 247

Stimmungen (Neumann, Alfred)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 247

Text

STIMMUNGEN.
Von Alfred Neumann (Wien).

Eines der grossen Kaffeehäuser in der Mitte der Stadt,
zwei Uhr Nachts.

Der grosse Lesetisch vom elektrischen Lichte grell be-
leuchtet; die dunkelrothen Sammtfauteuils, die am Tage ein
so anheimelnd einladendes Aussehen haben, erglänzen jetzt
unter den allzu starken Lichtwellen in einem gespensterhaften
Schimmer.

Sie erinnern an Blut, dickes, träg hervorquellendes
Blut

Seltsamer Gedanke das für ein grosses Kaffeehaus in
der Mitte der Stadt um zwei Uhr Nachts!

Ein paar Spieler sitzen im Nebenzimmer bei ihrer Piquet-
partie. Eintönig klingt es, wenn sie ihre Karten ansagen.

»Drei Ass« »Drei Könige « »Drei Damen «

Unwillkürlich setzt der einsame Gast am Lesetisch in
seiner Arbeit aus. Vor ihm liegt ein mächtiger Stoss von
Zeitungen, die er längst gelesen, Schreibzeug und Papier.

Bis jetzt hat er emsig geschrieben, unbekümmert um
die Leute neben ihm; als er gegen zehn Uhr anlangte, war
es noch gedrängt voll, voll von lebenslustigen Menschen, die
sich ein paar Stunden vergnügen wollten. Sie störten ihn
weder mit ihren Reden noch mit ihren Spielen, er hat fleissig
geschrieben und geschrieben.

Nur einmal hat er aufgehört und gehorcht — als ein
junger Mann, der eben die vierte Carambolepartie an seinen
Partner verlor, zu seiner Begleiterin, einer stark geputzten
jungen Dame, bemerkte:

»Qui a malheur au jeu a bonheur en amour.«

Die stark geputzte junge Dame lächelte affectirt, denn
sie verstand nicht, was ihr Galan meinte. Das gehörte nicht
zu ihrem Beruf. Der Mann am Lesetisch aber sann und sann.

»Qui a malheur en amour — qu’est-ce qu’il a alors?«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 247, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0247.html)