Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 249

Die Sehnsucht (Evers, Franz)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 249

Text

DIE SEHNSUCHT.

Sie war mir unter fremdem Himmel nah,
Ich fühlte einmal ihre grossen Blicke,
Ich fühlte, wie sie mir ins Innre sah —
Und weiss seitdem die leiseren Geschicke:

Ich weiss von Faltern, die vor Sehnsucht starben,
Als eine Blume sacht zu bleichen schien,
Von grossen Pflanzen, die im Licht verdarben,
Von Vögeln, die nach schwarzen Wäldern ziehn.

Und weiss von Menschen, die in schweren Nächten
Mit blassen Wangen nacheinander streben —
Sie hoffen, dass die Tage Frieden brächten,
Und fühlen doch, es ist umsonst — und beben.

Sah sie dich an mit Augen, grau und gross,
Dann musst du immer ihr dein Opfer bringen,
Dann spürst ihr Wesen du in allen Dingen,
Und nie mehr lässt sie deine Seele los.

Berlin. Franz Evers.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 249, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0249.html)