Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 254
Text
deine moralische Glaubwürdigkeit, deine genaue Lebenskenntniss —
der Vorwurf Sir Walter Scott’s hat auch die Stärksten schon gequält
»Ob es dennoch nicht anders käme —fragen sie sich immer und immer
wieder — »bei einem Wesen von schwacher Seele, bei einem Kind, bei
einem waffenlosen Geist, der nicht zu begreifen vermochte?« Und das
Gewissen — von Natur aus unfähig, über sich selbst zu urtheilen, wie
zu entscheiden, ob es selbst all das bewirkt oder ob es nicht nur ein
gleichgültiges Werkzeug war, zaudert, macht sich verrückt wie der Kopf
eines Liebenden
Glauben Sie mir, gnädige Frau, und werfen Sie auf einen Schrift-
steller nicht so sorglos den Vorwurf der Unmoral. Sie sind nicht allzu
häufig, die gegen ihr Gewissen schreiben.«
Meine Gegnerin antwortete nicht. Einige Augenblicke war ich
sehr stolz, sie so zum Schweigen gebracht zu haben. Aber wie ich sie
genauer besah, da merkte ich: sie hatte so lange nicht selbst reden
können sie schlief.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 254, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0254.html)