Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 287
Text
Du warst ein Ritter, rittest auf fahlem Ross,
Schwarz deine Rüstung, dein Helmbusch schwarz,
Ueber dunkle Wiesen trug dich das Ross durch Dämmerungen;
Der bleiche Knappe hinter dir, dein treuer Knappe —
denkst du daran? — der war ich.
Nein, du warst ein alter Bettler mit blinden Augen,
Heischtest Almosen, betend an der Kirchenpforte,
Der Knabe neben dir, dein Führer durch so viel Finsternisse,
Du hattest ihn lieb, weisst du, er führte dich gut und sicher —
der Knabe — war der nicht ich?
Nein, du warst ein Fürst, im Purpurmantel throntest du,
Im Morgenlicht glänzte deine goldene Krone;
Der Kanzler hinter dir, der alte, im schwarzen Talare,
Er stritt für dein Recht, er stritt mit tönender Stimme —
Weisst du es noch? Der war ich.
Ueber die Bretter schrittest du dann in der Gauklermaske,
Aber ich wusste gleich, wer du warst; ich wusst’ es;
Hast du mir nicht zugewinkt über alle die Fremdlinge,
Mit dem Bettler- und Königsblick, du, der schwarze Ritter?
O ich dachte daran, dachte daran.
Und jetzt, wo bist du jetzt hin? Wo treff ich dich wieder?
Ziehst über ferne Meere du, mit weissem Segel segelnd?
Wandelst über Wolken du oder schlürfst in Tiefen, in grauen
Tiefen?
Es wird vielleicht lange dauern, bis ich dich finde — sehr
lange —
denke nur dran!
Aber einmal noch kreuzen sich doch unsere Wege,
Ich habe so viel noch zu fragen, zu sagen noch Vieles.
O wenn du mich wieder siehst, rühr’ mit dem Finger leise
die Lippen,
Und ich will still dir folgen, still den langen, langen Pfad
Denke nur dran, denke daran.
Wien. Eugen Guglia.
1) Von seinem Biographen und langjährigen Freund.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 287, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0287.html)