Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 291

Pyrrhussieg (Strauss, Rudolf)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 291

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PYRRHUSSIEG.
Von Rudolf Strauss (Wien).

Sie sass geschmückt und stolz in ihrer rothen Sammetloge. Ganz
weiss war sie angethan, mit einem Kleid aus schwerem, leuchtendem
Brocat. Blutrothe Nelken dufteten in ihren mattblonden, à la Grecque
frisirten Locken, und um den Hals und in den winzigen Ohren erfunkelte
ein goldgefasster Schmuck von hellen, grünen, glitzernden Smaragden.
Sie liess den Blick nicht von der Bühne. Unausgesetzt hielt ihre kleine,
schlanke, weissbehandschuhte Rechte das langgestielte Lorgnon vor den
Augen. Denn er, dessen Stück sie heut zum erstenmale gaben, er hatte
sich ihr mit einer Leidenschaft genähert, die sie fast schon bezwang.
Noch war sie nicht ganz besiegt, noch widerstand nie. Aber wenn er
heute auf der Bühne triumphirte, dann würde auch sie sich ihm beugen
— das fühlte sie. Und so sass sie und sah und lauschte, bereit, dem
Sieger sich zu unterwerfen.

Der erste Act ging unter lebhaftem Beifall vorüber. Nach dem
zweiten durfte der junge Dichter sich einmal zeigen; seine Freunde
hielten sich brav, Lisa hatte zu klatschen aufgehört, das Opernglas er-
griffen. Und sie sah, wie sie ihn oberflächlich schon so oft gesehen,
den schlacken, mittelgrossen, schwarzbefrackten Körper, den feinen,
blassen, ovalen Kopf mit dem dunkelblonden, pariserisch geschnittenen
Vollbart, der weissen, gewölbten Stirne, den grünlich-blauen Augen, die
ihr so sehr gefielen. Mit einem leisen Lächeln lehnte sie sich jetzt zu-
rück, als sich der Vorhang wieder senkte.

Aber nun kam dieser dritte Act, wo die Mutter der Cocotte zu
Füssen sinkt und sie weinend um die Freigabe ihres Sohnes anfleht,
wo dieser plötzlich dann erscheint, gegen die Mutter Partei nimmt
und sie mit harten Worten aus der Stube weist. Als da der Vorhang
fiel, da herrschte zuerst ein banges, bebend-feierliches Schweigen, dann
aber brach ein Beifall los, ein tosender, frenetischer wie ein Gewitter
im Frühling. Die Herren im Parquet erhoben sich von ihren Plätzen,
und selbst die Damen in den Logen klatschten hingerissen mit. Lisa
war wie betäubt. Ihre Wangen hatten sich geröthet, die feine,
knospenhafte Brust vibrirte unter tiefen Athemzügen, sie hätte weinen
mögen vor warmem, leuchtendem Ergriffensein. Gigantisch gross kam er
ihr vor, ein Gott, ein Held, an dessen harter, freier Schulter sie gerne
gelehnt hätte. Es war das echte, das weibliche Gefühl bereiter Opfer-
willigkeit des Schwachen für das Starke.

Dann riefen sie laut und stürmisch seinen Namen. Der Vor-
hang hob sich, der Dichter erschien. Demüthig, schüchtern trat er
vor die Rampe, sein Blick flog suchend zu Lisa empor. Und diese

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 291, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0291.html)