Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 292

Pyrrhussieg (Strauss, Rudolf)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 292

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292 STRAUSS.

fasste abermals ihr feines, elfenbeinbelegtes Glas, und wieder starrte sie
in zitternder Bewunderung auf ihn. Sie that es bei diesem zweitenmale
mit ungewöhnlicher Intensität. Sie wollte den Sieger besehen, genau,
ganz genau. Sein Bild, den kleinsten, den intimsten Zug wollte sie sich
unauslöschlich in die Seele prägen. So scharf, so dauernd hatte sie
ihn noch nie betrachtet. Aber siehe! Wie sie ihn so fest beschaute,
da bemerkte sie plötzlich in seinem Gesicht eine dünne, müde, zuckende
Falte, die sich verrätherisch von Mund- zu Nasenwinkel zog. Diese
Falte irritirte sie. Sie schien ihr ein enthüllter Weg zu einer trüben,
dunkeln und verdeckten Seite seines Wesens. Für eine Täuschung
hielt sie sie zuerst. Hastig reinigte sie ihr Glas und blickte angestrengt
hinab. Doch die Falte, die müde, verblieb. Hätte der Vorhang nun
sich weiter nicht gehoben, Lisa hätte die kleine, nervöse Erregung ge-
wiss vergessen; sie stand noch immer unter seinem Bann. Allein das
Publicum zwang nun den jungen Dichter begeistert zu immer neuem,
dankendem Erscheinen. So fand sie Zeit, ihn streng, ihn prüfend zu
besehen. Und die kurze Verstimmung vermochte ihr suggestives Zer-
störerwerk nun ungehindert fortzusetzen.

Das ausgezeichnete Glas, das fahle Licht, das ihn so voll und
grell bestrahlte, die Aufmerksamkeit, mit der sie sich auf seine Person
ausschliesslich concentrirte, die Anspannung der Sinne und der Seele
— das Alles wirkte zusammen, ihn ihr so deutlich heut zu zeigen wie
nie zuvor. Lisa entdeckte diese ganz, ganz leisen Risse, diese heim-
lichen Zeichen der Décadence und frühen Entmannung jetzt überall,
in sämmtlichen Theilen seines bleichen Gesichtes. Die ganze Haut
schien ihr verknittert, zerdrückt. Seines Wortes zwingende Macht liess
immer jäher, immer rascher nach. Sein Auge, dessen Demuth sie vorhin
bestaunt, jetzt schien es ihr heuchelnd, erloschen. Ihr ganzes Denken
hatte sich gewandelt. Es war ihr fast, als freue er sich nicht so sehr
über den eigenen Erfolg wie über den verärgerten Neid seiner Gegner.
Aus physischen Mängeln schloss sie — nicht ganz bewusst — auf
innere Defecte, und aus den Schäden seiner Seele, die sie nun sah
oder zu sehen glaubte, erstanden ihr immer neue und neue Gebrechen
seines Körpers. Es war ein tolles, ein wirbelndes Wechselspiel. Nicht
wie ein jauchzender Held kam er ihr länger vor, wohl aber wie ein
Knecht, der plötzlich Herr geworden. Diese schüchterne, leicht ge-
bückte Haltung, sie zeigte noch das Sclavische in ihm, dieser demüthige
und doch so selbstbewusste Blick verrieth bereits den Parvenü, der,
stets getreten, nur durch Zufall zu der Macht gelangte. Alles Edle,
Hohe, Aristokratische hatte der Sieg aus seinen Zügen gewischt. Sein
Körper, der sie vor so fein, so biegsam dünkte, schien ihr vertrocknet
jetzt und dürr, vom Schicksal gezeichnet, vom Leben gebrochen. Mit
jedem Male, wo er neuerdings, den Rufen folgend, vor die Rampe trat,
verlor er mehr und mehr von ihrer Achtung. Und als der Vorhang
jetzt zum neuntenmale fiel und Leo’s äusserer Triumph vollendet war,
da hatte er bei ihr, von der er einzig noch ein Glück erhoffte, die
schnödeste, bitterste und untilgbarste Niederlage erlitten.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 292, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0292.html)