Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 301
Text
Es gibt zwölf »Sataniques«. Hier fehlt der Raum, die letzten acht
zu beschreiben, aber man darf auf Félicien Rops wohl mit grösserem
Rechte als auf Goya das Wort Gautier’s anwenden: »Er hat in seinen
Kupferstichen grosse Schrecken geschaffen.« Kürzlich frug Jemand: Wer
ist Rops? Ist er ein Maler, ein Kupferstecher? Rops ist ein Künstler,
der alle Arten des Verfahrens kennt und sie je nach seinem Gutdünken
anwendet. Er ist Maler, da aber seine Conceptionen Gedanken sind,
zieht er dem Pinsel den Stichel vor, woferne er nicht etwa das Pastell
oder das Aquarell erwählt. Gleichwohl ist die mit der Vernis-mou-Manier
gemengte Aetzkunst sein Lieblingsverfahren. In dieser Kunst folgt Félicien
Rops gleich nach Rembrandt.
Nur wenige — selbst aufgeklärte und gebildete Menschen nicht
— zeigen sich empfänglich gegenüber den »Sataniques«. Wo aber Rops
allen Intelligenzen zugänglich wird, das ist in seiner Auffassung des
modernen Weibes.
Die Frauen Balzac’s und die Dämone Barbey d’Aurevilly’s haben
ihre Ebenbilder nur im Werke Félicien Rops’. Wie er hat seit Leonardo
da Vinci und Dürer Niemand das moderne Weib ausgedrückt; Niemand
in der Kunst den Satanas. Das Weib und Satan aber sind die halbe Welt.
Félicien Rops und seine fünfzehnhundert Stiche in einen Artikel
zu fassen, ist unmöglich; es soll diese Monographie auch nur als Vor-
studie eines späteren Werkes gelten.
Zwischen Puvis de Chavannes, dem Heroischen, Gustave Moreau,
dem Feinfühligen, und Félicien Rops, dem Intensiven, schliesst das
kabbalistische Triangel der grossen Kunst.
In meinen Augen ist Félicien Rops, seit der Schule von Antwerpen,
der grösste flämische Meister.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 8, S. 301, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-08_n0301.html)