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Raimund-Theater. »Das
Theater darf nicht Herr über die
Künste werden.« An dieses Wort
des grossen Missverstandenen
musste ich denken, als neulich das
Raimund-Theater die »Lebens-
wende« des Max Halbe aufführte,
jene seltsame Komödie, die einem
so tragischen Schicksal zum Opfer
fiel. In der That: in eine andere
Kunstform gebracht, hätte aus
dieser Arbeit, die hier ein so trost-
los schlechtes Stück wurde, viel-
leicht ein Kunstwerk werden
können; denn jedenfalls steckt
mehr drin, als sich die Weisheit
unsrer Recensenten träumen liess.
Den Dichter beschäftigte offenbar
ein Problem, welches gleich einem
Leitmotiv das gesammte Schrift-
thum der Decadenten durchklingt,
von Gaborg bis Altenberg: die
fatale Geschichte derer, die keine
Beziehungen zum Leben haben,
weil sie wie der arme Lélian »sont
nés trop tôt ou trop tard«, weil
die Gewalt und Tiefe ihres inneren
Erlebens das äussere ausschliesst.
Ihre überreizte Sensibilität geräth
jeden Moment mit der Gleichgiltig-
keit des Milieu in Conflict, und
zu schwach, sich ihre eigenen Wege
zu bahnen, gehen sie unter den
intensivsten Leiden zugrunde, die
sie gewöhnlich unter irgend einer
absonderlichen Manie zu verbergen
suchen. Die Menschen dieser Art,
die gleich den letalen Zeichen am
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Ende jeder sehr späten Cultur er-
scheinen, suchte man bisher bloss
unter den Aristrokaten des Geistes;
doch wie schon der Dichter der
»Nora« für die unbedeutendste
Puppe selbst das Recht auf das
Wunderbare proclamirte, so ver-
sucht hier Halbe zu zeigen, wie
unter gewissen Umständen und zu
gewissen Zeiten auch die niedrig-
sten und nichternsten Naturen plötz-
lich zu Menschen werden und ihr
Recht auf das Leben geltend
machen können. Allerdings fehlt
ihm, der unserer Zeit das beste
Stimmungsdrama gegeben hat, die
intensive Macht und die Härte des
Psychologen. Sein weiches Tempera-
ment vermag nicht Menschen zu
schaffen und Probleme zu bewältigen,
seinen Figuren glaubt man einfach
ihre Geberden und Gedanken nicht,
sie scheinen inconsequent und
werden lächerlich. Wie ganz anders
hat Richard Dehmel in seinem
»Mitmensch«, den natürlich kein
Theater aufzuführen wagt, die
Figur des Erfinders erfasst, des
Mannes, der die Menschen nicht
mehr braucht, der hier ganz vag
und schemenhaft skizzirt wird. Die
Darstellung, die Einiges hätte retten
können, verdarb Alles mit gewissen-
hafter Gründlichkeit; nur Fräulein
Flora Kessler zeigte einige An-
sätze zu einer modernen Nerven-
schauspielerin.
F. R.
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