Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 348
Die Somnambulen als Lehrer (Prel, Dr. Carl du)
Text
weise und fortgesetzt damit, den Magnetismus als den fühlbaren Beweis
der Unsterblichkeit durchzuführen;1) Anderen wird diese Einsicht in
symbolischen Bildern offenbar.2)
Wie schwer es ist, dem sinnlichen Menschen die Idee der Un-
sterblichkeit beizubringen, das zeigt die Geschichte aller Religionen,
die immer wieder, wie auch die bezüglichen philosophischen Gedanken-
richtungen, skeptisch ausliefen. Der Somnambule dagegen besitzt diese
Ueberzeugung; im Grunde genommen ist sie ihm eine Erfahrungsthat-
sache, denn im Somnambulismus tritt vorübergehend ein, was im Tode
dauernd eintritt: die Exteriorisation des Astralleibes und seines Bewusst-
seins. Der Somnambule kann also keine andere Definition des Todes
geben als jene, die wir bei den alten Indiern, beim Apostel Paulus,
bei einigen Kirchenvätern und bei den Paracelsisten des Mittelalters
finden.
Wenn man zu einem Fachphilosophen vom Astralleib spricht,
wird man allerdings mit unsäglichem Mitleid angeschaut, und vom
jüngsten internationalen psychologischen Congress hat das Münchner
Comité den Occultismus sogar ganz verbannt. Das wird aber nicht
hindern, dass schon der nächste Congress, der 1900 in Paris statt-
finden soll, ein ganz anderes Bild zeigen wird. Ja schon viel früher
wird es allgemein bekannt sein, dass die künstliche Exteriorisation des
Astralleibes und sogar seine photographische Aufnahme eine Thatsache
ist, von welcher Rochas, der Director des Pariser Polytechnikums, die
ersten Beweise geliefert haben wird. Dies aber wird der Sonnenauf-
gang einer wirklichen Psychologie, der transscendentalen Psychologie
sein. Die Zeit der theologischen und philosophischen Unsterblichkeits-
beweise wird sodann abgelaufen, sie werden durch den experimentellen
Beweis ersetzt sein. Die physiologische Psychologie wird dann zu
einem untergeordneten Wissenszweig herabgedrückt und der Materialis-
mus in die Rumpelkammer der Zeit geworfen sein, wo man ihn nur
der Curiosität halber noch anschauen wird. Den Sieg aber wird auf
dem Pariser Congress eben jener jüngst noch aus München verbannte
Occultismus feiern. Damit wird aber wieder in einem Punkt, und zwar
dem wichtigsten, der Beweis geliefert sein, dass die Somnambulen der
Wissenschaft voraneilen, und dass wir allen Grund haben, in ihnen
unsere Lehrer zu sehen.
1) Archiv VII., 2, 33. — 2) Archiv VII., 2, 45.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 9, S. 348, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-09_n0348.html)