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beziehen. Darum trifft jede Schuld
am Misserfolge der »versunkenen
Glocke« ausschliesslich und einzig
Herrn Hartmann. Frau Reinhold-
Devrient wird nicht mit Recht
verurtheilt. Ihre süsse, glockenhelle
Stimme, die feine, beseelte Anmuth
ihrer Geberden wären einem Kainz
als Partner gegenüber gewiss zu
grösserer Geltung gelangt. So aber
übertrug man hier den ganzen starken
Aerger wider Hartmann, mit dem
sie zu gleicher Zeit fast immer auf
der Bühne stand, höchst grausam
auch auf sie. Sie hat ihn nicht
verdient. Denn selbst die grosse,
reife Kunst Lewinsky’s, der ein
bewundernswerther Nickelmann, die
derbe, wirksame Komik Thimig’s,
der ein lustiger, nur etwas zu ge-
müthlicher Waldschrat war, ver-
mochte angesicht Hartmann’scher
Unzulänglichkeit den Sieg des
feinen Werks nicht zu erzwingen.
R. St.
Rafael Faelberg, einer
der vorzüglichsten Repräsentanten
moderner Vortragskunst, hat einen
interessanten Dichterabend veran-
staltet. Seine verständnissvolle, von
schauspielerischen Alluren freie Art,
die dem Dichter gibt, was des
Dichters ist, und ohne das Kunst-
werk zu vergewaltigen, aus diesem
doch die stärksten psychologischen
Wirkungen zu ziehen weiss, eignet
sich namentlich für die Skizzen
Peter Altenberg’s, deren Be-
kanntschaft Faelberg einem für
künstlerische Darbietungen em-
pfänglichen Publicum vermittelt hat.
Grossen Erfolg hatte er auch mit
einer Erzählung Gustav Morgen-
stern’s, deren zahllose psycho-
logische Feinheiten geradezu Sen-
sation hervorriefen. Die satanische
Rhetorik und Kühnheit Arthur
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Fitger’s entzückte Jene, die den
fabulosen Tüfteleien Fritz Mauth-
ner’s wenig Geschmack abzuge-
winnen vermochten.
Alpha.
Goethe am Ausgang des
Jahrhunderts von Franz
Servaes. Berlin, S. Fischer,
Verlag, 1897.
Es gibt eine Menge Goethe-
Monographien; der Stoff, den der
Geistesheros seinen Biographen und
Commentatoren in schier unerschöpf-
licher Fülle bietet, scheint
schliesslich bewältigt zu sein. Es
scheint nur; die kleine Broschüre,
welche der bekannte Berliner
Literarhistoriker und Essaist Franz
Servaes vor kurzer Zeit erscheinen
liess, beweist das Gegentheil; in
den verhältnissmässig wenigen
Seiten ist so viel Neues gesagt,
dass man mit Recht behaupten
könnte, ein anderer weniger präg-
nanter und präciser Schriftsteller
hätte ein imponirend gewichtiges
Werk daraus gemacht. Neunzehn
kurze Capitel behandeln Goethe,
von verschiedenen Gesichtspunkten
aus betrachtet. Die Einleitung:
»Die Inseln Goethe’s«, zeichnet sich
durch die prachtvolle sehnsüchtige
Sprache aus, die Servaes überhaupt
eigen ist, sie lässt die Klage des
Menschen ertönen, der die »Stick-
luft« der Moderne athmen muss,
und den »ein eigenes Staunen über-
fällt, wenn ihn auf seinen schau-
kelnden Irrfahrten ein holdes Un-
gefähr den Inseln Goethe’s wieder
zutreibt«. In den folgenden Ab-
schnitten behandelt Servaes mit
Verständniss und Geist das Dä-
monische in Goethe, den Kampf
mit seinem Genius, den »Fürsten-
knecht«, die »Entwertherung« und
andere hochinteressante Phänomene
in des Dichters Geistesleben. Zu
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