Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 386
Text
Ein stolz’ Juwel, dem Künstler zum Genuss!
Was kümmert mich plebeisches Gespötte!
Gerundet schlingen Blumen sich zur Kette,
Gerundet beut die Lippe sich zum Kuss,
Gerundet glitzert mit des Reimes Glätte
Das Rondeau!
Kühl und alabasterhaft ist die Lyrik Miriams, aber voll edlen
Gehaltes. Er ist Pessimist; allein sein Pessimismus ist der geruhige,
heitere und objective Pessimismus des Weisen.
Heute lebt der Dichter in Paris, beschäftigt mit Studien zu einem
Werke über Hoene-Wronski, einen genialen Mystiker (aus der Zeit
Napoleons des Grossen), dessen Schüler Eliphas Levi war. So geht er
abseits von der Menge, heiter und still
DER LÄUFER.
Da liegt das Land, so hart und todt.
Ein Läufer läuft in das Abendroth.
Es keucht die Brust. Es rinnt der Schweiss.
? du Lauf zur Sonne, wie bist du so heiss!
Der nackte Fuss schlägt sich wund am Stein.
Kein Quell. Kein Schatten. Nur Sonnenschein.
Nur Sonnenschein, so glühend, so fern.
Kein kühles Mondlicht. Kein Abendstern.
Wann hat der Läufer die Sonne erreicht?
Schon senken sich Schatten. Der Purpur erbleicht.
Da stürzt er zu Boden — er ist zu Haus
Und ruht in den Armen des Lichtgott’s aus.
Zürich. Maurice von Stern.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 386, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-10_n0386.html)