Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 394
Text
A. D. Goltz’ Triptychon »Bauernmadonna« ist ein glücklicher
Wurf. Der milde Zauber der Volksseele in der frommen Einfalt ihres
Empfindens ist glücklich erfasst. Es liegt ein tiefer Friede über dem Bilde.
Die Züge der Madonna werden den Freunden des Künstlers wohl-
bekannt sein, aber nie hat Goltz ihre heitere Sinnigkeit, ihren stillen
Liebreiz so verklärt und doch so porträtgetreu wiedergegeben.
Auch Konopa hat eine »Bauernmadonna« unter dem Titel
»Verehrung« ausgestellt. Sie ist graciöser und genrehafter aufgefasst als
das Goltz’sche Triptychon.
Die Landschaften der diesjährigen Ausstellung bieten wenig
Ueberraschendes. Darnaut ist weich und fein in der Farbe,
Hirschl hat einen entschiedenen Schritt nach vorwärts gethan. Frau
Wisinger-Florian hat ein Kohlfeld ausgestellt, dessen tiefe Per-
spective überrascht. Diese Künstlerin reift noch mit jedem Jahre.
Auch ihr Bild »Dämmerung« — weisse Rosenbäume im ersten Grau
des Abends — ist mit ausserordentlicher Feinheit gemalt. Die Farben-
symphonieen von einst haben subtileren Stimmungen Platz machen
müssen. So ist die Virtuosin zur Künstlerin gereift. Und sie hat in
ihrer Entwicklung noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Von Temple sehen wir — elegant wie seine früheren Atelierbilder
— diesmal das Interieur der Kunstwerkstätte Caspar von Zumbusch’s.
Isidor Kaufmann, der eine Zeit lang als künstlerisch verloren ge-
golten, hat ein Bild von besonderer Eigenart ausgestellt. Es heisst
»Sabbath« und stellt einen Gottesdienst in einem Tempel dar. Die
ganze Scene ist mit tiefem Eindringen in den Geist des Judenthums
gemalt, in subtilster Kunst sind die Gestalten wiedergegeben, namentlich
die Buben mit ihrem verlorenen Ausdruck im Gesicht — jeder Pinsel-
strich hat Race. Die Technik ist sorgfaltig, ohne geleckt zu sein.
Das Triptychon des jungen Münchners David Mosé zeugt von
Poesie und Stimmung und ist auch technisch von anerkennenswerthem
Können. Caspar Ritter’s »Morgen« hat französische Pikanterie in
Zeichnung und Incarnat.
Im ersten Stock verdienen zwei Kohlenskizzen von Horovitz
(Johann Strauss und Graf Kinsky), ein phantastisch componirtes Aquarell
von Heinrich Lefler und Josef Urban, die feinen Pastelle von Max
Levis und eine Gouache von Jenewein Beachtung.
Wir mögen manches Gute übergangen haben. Ihm sei stillschwei-
gende Anerkennung gezollt. Freilich hätten wir auch Vieles zu tadeln,
wenn es Aussicht auf eine Besserung vermuthen liesse. Da sind eine
Menge Genrebilder von langweiligster Sentimentalität oder bedauerns-
werthestem Humor. Ein trostloser »Ausblick auf den Donaucanal« von
Heinrich Tomec, Stillleben von lautester Talentlosigkeit von Bickinger
u. a., die Filigranmeisterschaft des Herrn Schödl, das akademische
Panoramenbild Benczur’s mit dem »grossen historischen Zug« und die
invalide Kunst des Friedlaender.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 394, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-10_n0394.html)