Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 395
Text
»Die Sclavin«, Schauspiel von Ludwig Fulda. — »Das liebe Geld«, Schwank
von Alexander Engel.
Von Rudolf Strauss (Wien).
Vom Raimund-Theater, das man schon verloren hielt, kommt
jetzt im Frühling neue, erfreuliche Kunde. Zwei starke Zuckungen hat
es gemacht, die scheinbar laut beweisen, dass dieser todtgesagte
Organismus noch lebt und für die Zukunft lebensfähig ist. »Die Sclavin«
Fulda’s war es, die zunächst die trüben Todesschatten aus dem Hause
scheuchte. Dann fegte Engel’s Schwank »Das liebe Geld« die letzten
schweren Träume aus den Winkeln. So verschieden diese beiden Stücke
sind, das Eine scheint sie zu verbinden: die erlösende Wirkung, der frische,
befreiende, wirbelnde Hauch, der alle bösen Geister der Verzweiflung
bannte. Liegen die Gründe dieses Effectes nun in den Stücken, liegen
sie in der Darstellung, liegen sie in inneren, liegen sie in äusseren
Verhältnissen? Dies zu betrachten, kurz zu untersuchen, sei mir hier
gestattet.
Fulda’s Talent steht fest wie seine Unaufrichtigkeit. Man weiss,
dass er ein kluger, feiner Kopf ist, der für die kommenden Dinge eine
ahnende Witterung hat. Allein man weiss auch, dass ihm jeder Ernst
und jede Höhe mangelt, dass er vom Gipfel reiner Kunst stets meilen-
weit entfernt ist. »Grösse haben, heisst Richtung geben,« sagt Nietzsche
tief. Wann hätte Fulda je davon ein Beispiel wohl gezeigt? Er war
bisher ein lauter, tönender Rufer im Streit, aber Herold, aber Ver-
künder war er nie. Immer hat er den herrschenden Wind in feiner
Weise zu nützen gewusst, die Anfänge einer starken Bewegung hat er
bereitwillig mitgemacht, aber Neues, aber Selbstständiges hat er niemals
geleistet. Nur den Schein hat er zu wecken versucht, als kenne er steile,
ungekannte Wege, als sei er der Pfadfinder einer grossen, nahenden
Epoche, als hätte er Gedanken auszusprechen, die Niemand vor ihm
noch gesagt. Sein Mühen war jedoch vergeblich. Er ward durchschaut.
All seine Künste konnten nicht verfangen. Das Emerson’sche Wort,
dass das Mass einer That das Gefühl sei, dem sie entsprang, es wurde
auch auf Fulda angewandt und hat bei allen Wissenden sein Thun
und Handeln arg verpönt.
Wie kam es nun, dass er trotzdem mit seiner »Sclavin« diesen
vollen und mächtigen Erfolg errang, den ihm kein Mensch bestreiten
kann? War er hier gross? Gab er hier »Richtung«, wenn auch vielleicht
eine falsche? Nein! Nichts von alledem. Man kennt den Inhalt dieses
Stückes, man weiss, dass eine unverstandene Frau vergeblich sich von
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 395, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-10_n0395.html)