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Autorenabend, 28. März.
Es scheint, dass man sich in Wien
doch noch für etwas Anderes inter-
essirt als für Lueger. Heute Abends
gab es im Bösendorfersaal eine
Scene, bedeutsam für jeden Psycho-
logen: ein zahlreiches Publicum
aus den gewissen Schichten der
oberen Zehntausend hatte sich ein-
gefunden und wartete der Dinge,
die da kommen sollten. Und siehe
da, auf dem Podium, wo sonst
Lillian Henschel und Rosé ihre
Triumphe feiern, hatten sich heute
Vertreter einer Kunst eingefunden,
welche dieses Publicum bisher gar
nicht oder bloss grotesk carikirt
aus den Feuilletons ehrwürdiger
Mummelgreise kennen gelernt hatte.
Zunächst trat aus der weitgeöffneten
Doppelthüre ein Jüngling mit schma-
lem Schillergesichte schüchtern her-
vor, Herr Georg Hirschfeld aus
Berlin, der tiefe und eigenartige
Dichter des »Dämon Kleist«. Ihm
folgten die Grössen des heimischen
Parnasses, die Herren Hofmanns-
thal, Schnitzler und Bahr.
Nur hätten sie in umgekehrter
Reihenfolge vortragen sollen: denn
nach der wundervollen Dichtung
Hofmannsthal’s, bei der man nicht
weiss, was mehr zu bewundern ist,
die meisterhafte Seelenanalyse oder
die geniale Virtuosität der Sprach-
behandlung, konnte das Nach-
folgende nicht recht wirken. Der
erste Act von Schnitzler’s »Freiwild«,
eines amüsant und bühnenwirksam
gezeichneten dramatischen Sitten-
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bildes aus der Welt der öster-
reichischen Talmilebemänner: ältere
deutsche Lustspielmarke mit social-
ethischem Hintergrund. Herr Her-
mann Bahr endlich machte sich
in geistreicher Weise über das
Publicum lustig; Publicum merkte
natürlich nichts und amüsirte sich
köstlich.
F.
Theater a. d. Wien. »Die
Göttin der Vernunft.« Das Un-
glück, welches Johann Strauss
meistens in der Wahl seiner Li-
brettisten hatte, ist bekannt, und
wohl nur der Naivetät des wahren
Talentes ist es zuzuschreiben, wenn
der Meister nun abermals zu einem
schlechten Buche griff. Er hat seit
»Ritter Pazman« viele Studien
gemacht; daher mag es kommen,
dass wir diesmal stellenweise den
speciell Johann Strauss’schen Typus
vermissen und dass derselbe dort,
wo er sich einstellt (z. B. in der
Carmagnole des zweiten Actes, die
entschieden mehr Localcolorit ver-
langt hätte), oft deplacirt ist. Trotz-
dem weist die Partitur natürlich
viele Feinheiten, besonders in der
Instrumentation, auf, wenn auch
der vom Premièrepublicum sehn-
lichst erlauerte Schlager in Walzer-
form vergeblich auf sich warten
liess.
H. K—r.
Carltheater. »Die
Gross-
herzogin
von Gerolstein.« »Die
moderne Operette ist todt, es lebe
die alte Operette — in hoc signo
vinces!« In dieser Voraussetzung
beschäftigt sich Director Jauner
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