Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 397
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grämt und verbittert. Erst als sie durch den Schwiegersohn, der Advocat
ist, den grösseren Theil ihres Geldes nach langem Harren zurück-
erhält, lebt sie und jubelt sie wieder auf. So hat das Stück alle Vor-
züge seiner Mängel. Aber die sehr geschickte Scenenführung, der
fesselnde Dialog, die zahllosen, sprühenden Witzworte, sie sprechen
ebenso tönend dafür, dass Alexander Engel wirklich ein Talent ist.
Ungezwungen, wie von selbst erscheinen seine Pointen. Unseres grossen
Philosophen Wort: »Wer den Geist sucht, der hat ihn nicht,« findet auf
ihn keine Anwendung; denn er geistreichelt nicht, er ist thatsächlich
geistreich.
Nur schade, dass er im Raimund-Theater so wenig gute Inter-
preten fand, dass Herr Fröden zu lärmend, Herr Klein zu humorlos
und Fräulein Meissner zu talentlos war. Die einzige Niese traf
den richtigen parodistischen Ton, sonst schien dort Alles wider den
Autor verschworen. Gleichwohl hat er gesiegt, gegen das Theater
und gegen die Darsteller gesiegt, wie Fulda ohne dieselben und
so darf ich am Schlusse dieses Artikels mir die Frage wohl gestatten:
Hat denn die Raimund-Bühne wirklich Grund zur Freude, Director
Gettke Grund zum Stolz? waren die beiden letzten Erfolge that-
sächlich Zeichen des Lebens — oder waren sie nur das letzte Empor-
flackern vor dem sicheren Erlöschen?
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 10, S. 397, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-10_n0397.html)